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Halensee, zum Kochen, nein, zum Ü berkochen bringen. So etwas ist nur in
dieser Stadt mö glich. Nur hier, in Berlin, wo vor kurzem noch ein Event sondergleichen, der
von dem international gepriesenen Künstler Christo auf so unvergleichlich zauberhafte
Weise verhü llte Reichstag, zu einem Ereignis wurde, das Hunderttausende angezogen hat,
hier, nur hier, wo vor wenigen Jahren die Tugend auf der Mauer getanzt, der Freiheit ein
ü berschäumendes Fest bereitet und den Ruf „Wahnsinn!“ zum Wort des Jahres erhoben hat,
einzig hier, sage ich, kann zum wiederholten Mal, doch diesmal bei ü berwältigendem
Andrang, so lebenshungrig wie total ausgeflippt die „Love Parade“ ü ber die Bühne gehen
und dürfen sich, auch wenn anfangs der Senat zögerlich reagiert und der zu erwartenden
Mü llberge wegen sogar ein Verbot erwogen hat, nun endlich doch - gewiß, liebe Zuhö rer
und Zuhö rerinnen, wir respektieren Ihre Bedenken - auf einer vom Innensenator
zugelassenen Demonstration die sogenannten Raver, was soviel wie Schwärmer,
Phantasten, total Ausgeflippte heißen mag, als besessene Techno-Tänzer versammeln und
ganz Berlin, diese wunderbare, stets allem Neuen offene Stadt, mit, so heißt es, „der größten
Party der Welt“ beglü cken, sagen die einen, schockiert es die anderen, denn was hier seit
Stunden abläuft – Hö ren Sie nur! ... (G. Grass)
Text VI
Karl Alexander schickte Magdalen Sibylle prächtige Geschenke, flandrische und
venezianische Gobelins, goldene Parfü mfläschchen mit persischem Rosenö l, ein arabisches
Reitpferd, ein Per-lengehänge. Er war kein Filz, er ließ sich nicht lumpen, und er
betrachtete Magdalen Sibylle als seine erklärte Mätresse. Täglich kam der Kammerdiener
Neuffer, fragte fö rmlich im Auftrag des Herzogs nach dem Befinden der Demoiselle.
Magdalen Sibylle ließ sich alles kalt und wortlos gefallen. Sie ging stumm wie eine
Tote, starr das männlich kühne, schö ne Gesicht, verpreßt die Lippen, die Arme seltsam
steif. Sie verließ das Haus nicht, sie sagte guten Morgen, guten Abend, sonst nichts, sie aß
allein, sie kü mmerte sich nicht um das Hauswesen. Sie hatte zu niemandem, zu ihrem Vater
nicht, zu niemandem ü ber die Sache mit dem Herzog gesprochen, es kam vor, daß sie ihren
Vater tagelang nicht sah.
Weißensee wagte keinen Versuch, sie aus ihrer Starre zu wecken. Er war nobilitiert
worden, er hatte jetzt den Rang ernes Konferenzministers. Er war flatterig und sehr elend,
er fühlte das Mißtrauen seiner Kollegen vom engeren landschaftlichen Ausschuß, er wollte
sich aussprechen mit Harpprecht, dem Juristen, mit Bilfinger, der ein rechter, ehrlicher
Mann war und sein Freund. Er wagte es nicht. Magdalen Sibylle saß stundenlang und
starrte. Sie war aus sich herausgeworfen, zertrampelt, zerfetzt, zerwü stet.
Waren dies ihre Arme? Wenn sie sich stach, war das ihr Blut? Das Seltsamste war, sie
hatte keinen Haß gegen den Herzog. (L. Feuchtwanger)
Text VII
... «Elefanten im Paul-Celan-Laden» nennt der Kneipenphilosoph die Verbrecher an der
Sprache und will schon resignieren vor ihrer Ü berzahl und Ü bermacht. Doch
Fernsehwerbungs-zumutungen wie «Das König der Biere», «Wir haben verstanden»,
«Deutschlands meiste Kredit-karte» oder «Die tun was» wecken noch einmal seinen
Kampfgeist und versetzen ihn schier in Raserei. Frei assoziierter: nein, wenn diese Welt
schon nicht in der Lage ist, ihm Schö nheit entgegenzubringen, Respekt zu erweisen und
Dank zu zollen, so sucht er Schö nheit wenigstens im luziden Gedanken, in der lichten
Formulierung zu finden.
Und so vermag er sich zu besänftigen: indem er die Niedrigkeit des Daseins mit den
Niederungen des Humors auskontert - mit Kalauern und Wortspielen, zu denen er qua
31 Halensee, zum Kochen, nein, zum Ü berkochen bringen. So etwas ist nur in dieser Stadt mö glich. Nur hier, in Berlin, wo vor kurzem noch ein Event sondergleichen, der von dem international gepriesenen Kü nstler Christo auf so unvergleichlich zauberhafte Weise verhü llte Reichstag, zu einem Ereignis wurde, das Hunderttausende angezogen hat, hier, nur hier, wo vor wenigen Jahren die Tugend auf der Mauer getanzt, der Freiheit ein ü berschäumendes Fest bereitet und den Ruf „Wahnsinn!“ zum Wort des Jahres erhoben hat, einzig hier, sage ich, kann zum wiederholten Mal, doch diesmal bei ü berwältigendem Andrang, so lebenshungrig wie total ausgeflippt die „Love Parade“ ü ber die Bü hne gehen und dü rfen sich, auch wenn anfangs der Senat zö gerlich reagiert und der zu erwartenden Mü llberge wegen sogar ein Verbot erwogen hat, nun endlich doch - gewi ß, liebe Zuhö rer und Zuhö rerinnen, wir respektieren Ihre Bedenken - auf einer vom Innensenator zugelassenen Demonstration die sogenannten Raver, was soviel wie Schw ärmer, Phantasten, total Ausgeflippte heißen mag, als besessene Techno-Tänzer versammeln und ganz Berlin, diese wunderbare, stets allem Neuen offene Stadt, mit, so hei ßt es, „der grö ßten Party der Welt“ beglü cken, sagen die einen, schockiert es die anderen, denn was hier seit Stunden abläuft – Hö ren Sie nur! ... (G. Grass) Text VI Karl Alexander schickte Magdalen Sibylle prächtige Geschenke, flandrische und venezianische Gobelins, goldene Parfü mfläschchen mit persischem Rosenö l, ein arabisches Reitpferd, ein Per-lengehänge. Er war kein Filz, er ließ sich nicht lumpen, und er betrachtete Magdalen Sibylle als seine erklärte Mätresse. Täglich kam der Kammerdiener Neuffer, fragte fö rmlich im Auftrag des Herzogs nach dem Befinden der Demoiselle. Magdalen Sibylle ließ sich alles kalt und wortlos gefallen. Sie ging stumm wie eine Tote, starr das männlich kü hne, schö ne Gesicht, verpreßt die Lippen, die Arme seltsam steif. Sie verließ das Haus nicht, sie sagte guten Morgen, guten Abend, sonst nichts, sie a ß allein, sie kü mmerte sich nicht um das Hauswesen. Sie hatte zu niemandem, zu ihrem Vater nicht, zu niemandem ü ber die Sache mit dem Herzog gesprochen, es kam vor, daß sie ihren Vater tagelang nicht sah. Weißensee wagte keinen Versuch, sie aus ihrer Starre zu wecken. Er war nobilitiert worden, er hatte jetzt den Rang ernes Konferenzministers. Er war flatterig und sehr elend, er fü hlte das Mißtrauen seiner Kollegen vom engeren landschaftlichen Ausschuß, er wollte sich aussprechen mit Harpprecht, dem Juristen, mit Bilfinger, der ein rechter, ehrlicher Mann war und sein Freund. Er wagte es nicht. Magdalen Sibylle saß stundenlang und starrte. Sie war aus sich herausgeworfen, zertrampelt, zerfetzt, zerwü stet. Waren dies ihre Arme? Wenn sie sich stach, war das ihr Blut? Das Seltsamste war, sie hatte keinen Haßgegen den Herzog. (L. Feuchtwanger) Text VII ... «Elefanten im Paul-Celan-Laden» nennt der Kneipenphilosoph die Verbrecher an der Sprache und will schon resignieren vor ihrer Ü berzahl und Ü bermacht. Doch Fernsehwerbungs-zumutungen wie «Das Kö nig der Biere», «Wir haben verstanden», «Deutschlands meiste Kredit-karte» oder «Die tun was» wecken noch einmal seinen Kampfgeist und versetzen ihn schier in Raserei. Frei assoziierter: nein, wenn diese Welt schon nicht in der Lage ist, ihm Schö nheit entgegenzubringen, Respekt zu erweisen und Dank zu zollen, so sucht er Schö nheit wenigstens im luziden Gedanken, in der lichten Formulierung zu finden. Und so vermag er sich zu besänftigen: indem er die Niedrigkeit des Daseins mit den Niederungen des Humors auskontert - mit Kalauern und Wortspielen, zu denen er qua
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