Практика перевода по немецкому языку. Арзамасцева И.В. - 101 стр.

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Heute gruseln sich Sprachbewahrer, wenn ihnen das sogenannte Kiezdeutsch zu
Ohren kommt, die derzeit wohl ungewöhnlichste Art von Jugendsprache. Sie ist in
Migrantenvierteln wie Berlin-Kreuzberg und Hamburg-Mümmelmannsberg
entstanden.
"Das Besondere ist, dass diese Form sich im Kontakt verschiedener Sprachen
entwickelt hat", erklärt Heike Wiese. Die Linguistin lebt in Kreuzberg und hat einen
Lehrstuhl an der Universität Potsdam. Vielleicht werden ihre Töchter eines Tages
auch "krass sprechen", wie die Jugendlichen ihren Slang nennen. Wiese würde das
nicht wundern: "Kiezdeutsch wird in ethnisch gemischten Gruppen auch von
Jugendlichen deutscher Herkunft benutzt."
Typisch für diese neuen Sprachstile sind Entlehnungen wie das türkische "lan"
(für Kumpel) oder das arabische "wallah" (leitet sich von wa allah ab, wörtlich "und
Gott", und dient zur Bekräftigung). Daneben gibt es Neukreationen wie "musstu", bei
denen Wörter zu einem neuen Ausdruck verschmolzen sind. "Musstu wird gegenüber
Einzelpersonen und gegenüber Gruppen verwandt", sagt Wiese. "Das zeigt, dass es
sich von der ursprünglichen Bedeutung entfernt hat." Charakteristisch sei es auch,
Verben mit Nomen zu kombinieren ("Hast du U-Bahn?" – "Nein, ich habe Fahrrad" /
Fährst du mit der U-Bahn? – Nein, mit dem Fahrrad) und Ortsangaben durch bloße
Nomen auszudrücken ("Ich geh Schule").
Während viele Deutschlehrer solche Sätze als Sprachverfall brandmarken, findet
die Germanistik-Professorin Wiese sie wissenschaftlich hochinteressant: "Was für die
Information nicht zentral ist, wird weggelassen, das ist sehr ökonomisch."
Verschmelzungen gebe es im Übrigen auch in der Umgangssprache. "Viele sagen
'hamwa' statt 'haben wir' und 'gehste' statt 'gehst du'."
Der Sprachmix höre sich zwar chaotisch an, habe aber Regeln und Strukturen.
"Für die berufliche Zukunft der Jugendlichen ist es jedoch wichtig, dass dies nicht die
einzige Varietät des Deutschen ist, die sie beherrschen", sagt Wiese. Sie empfiehlt
daher Lehrern, Kiezdeutsch zum Unterrichtsthema zu machen. "Wenn ihr
Sprachgebrauch ernst genommen wird, sind Jugendliche eher bereit, sich mit dem
Standarddeutschen zu beschäftigen."
Auch unter Teenagern ohne Kontakt zur Migrantenszene hatten sich vor einigen
Jahren Ausdrücke wie "Ultrakorregd" und Sprüche wie "Was guckst du, bin isch
Kino?" verbreitet.
Bekannt geworden ist die Kiezdeutsch-Karikatur "Kanak Sprak" durch Ethno-
Comedy-Shows wie "Stefan und Erkan". Die medial verbreiteten Begriffe wurden
vielfach übernommen. Ohnehin finden sich in Jugendsprache oft Anspielungen auf
Werbesprüche, Filme oder Lieder.
Mitunter wird auch der Sinn eines Wortes erweitert: "Der Begriff 'geil', sagt
Neuland, "hatte bis in die 1980er Jahre eine rein sexuelle Bedeutung. Dann wurde es
populär, ihn für alles zu benutzen, was Jugendliche gut fanden. Zugleich provozierte
'geil' die Erwachsenen, weil das Wort in ihren Ohren anstößig klang."
Zu den aktuell gewandelten Wörtern zählen "Opfer" (im Sinn von "Idiot"
gebraucht) und "ficken". Der für Erwachsene obszön klingende Satz: "Gestern wurde
ich ohne Fahrschein gefickt", heißt übersetzt ganz schlicht: "Gestern wurde ich ohne
Fahrschein erwischt."