Введение в анализ литературного текста. Евтугова Н.Н. - 46 стр.

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– Mit einem Messer, 1958
– Ländliches Fest, 1968
– Sonntags bei den Kreisands, 1970
– Wir sind eine Familie, 1981
– So ist die Lage, 1974
Barbara Frischmuth
Am hellen Tag
Sie war Greta. Greta G. Warum nicht Greta G.? Was war so außer-
gewöhnlich daran, Greta G. zu heißen? Sie war Greta G., aber es gab
mehrere Greta G.s. Niemand konnte seinen Vornamen für sich allein
haben, den Nachnamen schon gar nicht. Es gab kein Gesetz, das die
Einmaligkeit von Namen schützte. Und welche Buchstabenkombination
auch immer man sich ausdachte, es war mehr als wahrscheinlich, daß
sie schon bestand, daß man bloß nicht davon wußte, in einer anderen
Sprache vielleicht. Die Enttäuschung, als sie Issa im Japanischen als
Dichternamen wiederfand. Es blieb bei Greta. Greta G. Ein Nachname
war so gut wie der andere. Wer einen damit anredete, setzte eine Be-
zeichnung hinzu, um klarzumachen, daß er zumindest soviel von einem
wußte: Familienzugehörigkeit, Stand, Geschlecht.
Lange hatte sie sich einen Namen gewünscht, der nur sie anging, der
sie besagte. Murmel zum Beispiel, der auf eine Glaskugel, ein Tier und
eine bestimmte Art von Geräusch hindeutete. Aber niemand war je auf
die Idee gekommen, sie Murmel zu heißen.
Sie war Greta G., mußte Greta G. bleiben. Eine gewisse Greta G.,
die dasaß, anstatt zu arbeiten, die Beine hochgelagert, eine Zeitschrift
auf den Knien, rauchend. Sie haßte den Geruch des Messingaschenbe-
chers, wenn sie die Zigarette darin abtötete. Sie mochte Aschenbecher
aus Messing nicht, aber da war kein anderer. Auch stanken sie noch
lange nach, wenn sie bereits gesäubert waren.
Greta G., stand in der Zeitschrift, jene einmalige Greta G. Sie ü-
berblätterte sie. Auch wenn da Greta G. stand, hieß das noch lange
nicht, daß sie es war. Solche Namen bedeuteten so gut wie nichts. Man-
che existierten nur als Bildunterschrift, waren Hinweis auf austauschba-
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re Gesichtszüge, begünstigten auf unverschämte Weise den, der am
häufigsten mit ihnen genannt wurde.
Aus einem lang zurückliegenden Anlaß war sie Greta G., hatte Greta
G. zu sein. Eine der vielen möglichen Greta G.s, die sie gar nicht alle
kannte. Von sich wußte sie, daß sie Greta G. war, auch als Greta G. galt.
Zum Glück kam es selten vor, daß jemand, der ihr begegnete, sie mit
einer anderen Greta G. verwechselte. Allein, ihr genügte schon die
Möglichkeit.
Sie stülpte die leere Teetasse über den Aschenbecher. Es war hell
draußen, sonnig, klar, mit einem leichten Windhauch, der die Blätter
zum Beben brachte. Sie saß im Wohnzimmer, ebenerdig, bei geschlos-
senen Fensterläden, das Licht kam von der Tür. Sie hatte sich selbst
beurlaubt, für kurze Zeit, länger als eine Teepause, sie brauchte die Ent-
spannung. Das Haus war leer, menschenleer, doch stand vieles herum,
was Staub fing. Gefallen ja, es gefiel ihr schon, machte aber Arbeit. Das
eine oder andere hätte sie auch gekauft; so viele Möbel waren es gar
nicht, aber die Bücher und die Bilder.
Niemand zwang sie, niemand konnte sie zu etwas zwingen. Und ir-
gendwann war dann ohnehin alles gemacht.
Die beiden Glastürflügel standen offen, und ihr Blick reichte bis zur
Buchsbaumhecke. Sie wäre jetzt lieber im schattigen Teil des Gartens
gesessen. Hinter der Hecke fiel das Grundstück ab, und da war ein
Teich, das heißt, ein kleiner künstlich angelegter Tümpel mit einer alten
Brunnenfigur, und darum herum wucherte und gedieh es in allen nur
denkbaren Schattierungen von Silbrig bis Grün, gefiedert, gezackt oder
in dicken, lappenförmigen Blättern, und dazwischen blühte es zart in
weißen und gelben Tönen.
Der Garten, gewiß, das war ihr Geschmack. Am Ende des Grund-
stücks, gegen die Straße, nur mehr Büsche und Bäume, hinter dem Haus
Holunder und Ribiselsträucher. An den Steintreppen entlang weiße und
blaue Iris, Klematis rankend an den Kiefern, dazwischen Geißbart. So
gut wie kein Rot. Sie empfand all die dicken Begonien und neuen Ro-
sensorten in ihrer pflegeleichten Pracht als protzig, ja geradezu aufrei-
zend, und mochte sie nur an alten Holzhäusern oder in Bauerngärten.
Der Wunsch kam sie an, sich im Garten zu schaffen zu machen, aber
dazu war es jetzt wohl zu warm. Noch ein bißchen sitzen bleiben, so,
   – Mit einem Messer, 1958                                                re Gesichtszüge, begünstigten auf unverschämte Weise den, der am
   – Ländliches Fest, 1968                                                 häufigsten mit ihnen genannt wurde.
   – Sonntags bei den Kreisands, 1970                                          Aus einem lang zurückliegenden Anlaß war sie Greta G., hatte Greta
   – Wir sind eine Familie, 1981                                           G. zu sein. Eine der vielen möglichen Greta G.s, die sie gar nicht alle
   – So ist die Lage, 1974                                                 kannte. Von sich wußte sie, daß sie Greta G. war, auch als Greta G. galt.
                                                                           Zum Glück kam es selten vor, daß jemand, der ihr begegnete, sie mit
                                                                           einer anderen Greta G. verwechselte. Allein, ihr genügte schon die
                         Barbara Frischmuth                                Möglichkeit.
                           Am hellen Tag                                       Sie stülpte die leere Teetasse über den Aschenbecher. Es war hell
                                                                           draußen, sonnig, klar, mit einem leichten Windhauch, der die Blätter
    Sie war Greta. Greta G. Warum nicht Greta G.? Was war so außer-
                                                                           zum Beben brachte. Sie saß im Wohnzimmer, ebenerdig, bei geschlos-
gewöhnlich daran, Greta G. zu heißen? Sie war Greta G., aber es gab
                                                                           senen Fensterläden, das Licht kam von der Tür. Sie hatte sich selbst
mehrere Greta G.s. Niemand konnte seinen Vornamen für sich allein
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haben, den Nachnamen schon gar nicht. Es gab kein Gesetz, das die
                                                                           spannung. Das Haus war leer, menschenleer, doch stand vieles herum,
Einmaligkeit von Namen schützte. Und welche Buchstabenkombination
                                                                           was Staub fing. Gefallen ja, es gefiel ihr schon, machte aber Arbeit. Das
auch immer man sich ausdachte, es war mehr als wahrscheinlich, daß
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sie schon bestand, daß man bloß nicht davon wußte, in einer anderen
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Sprache vielleicht. Die Enttäuschung, als sie Issa im Japanischen als
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Dichternamen wiederfand. Es blieb bei Greta. Greta G. Ein Nachname
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war so gut wie der andere. Wer einen damit anredete, setzte eine Be-
                                                                               Die beiden Glastürflügel standen offen, und ihr Blick reichte bis zur
zeichnung hinzu, um klarzumachen, daß er zumindest soviel von einem
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wußte: Familienzugehörigkeit, Stand, Geschlecht.
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    Lange hatte sie sich einen Namen gewünscht, der nur sie anging, der
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sie besagte. Murmel zum Beispiel, der auf eine Glaskugel, ein Tier und
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eine bestimmte Art von Geräusch hindeutete. Aber niemand war je auf
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die Idee gekommen, sie Murmel zu heißen.
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    Sie war Greta G., mußte Greta G. bleiben. Eine gewisse Greta G.,
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die dasaß, anstatt zu arbeiten, die Beine hochgelagert, eine Zeitschrift
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auf den Knien, rauchend. Sie haßte den Geruch des Messingaschenbe-
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chers, wenn sie die Zigarette darin abtötete. Sie mochte Aschenbecher
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aus Messing nicht, aber da war kein anderer. Auch stanken sie noch
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lange nach, wenn sie bereits gesäubert waren.
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    Greta G., stand in der Zeitschrift, jene einmalige Greta G. Sie ü-
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berblätterte sie. Auch wenn da Greta G. stand, hieß das noch lange
                                                                           zend, und mochte sie nur an alten Holzhäusern oder in Bauerngärten.
nicht, daß sie es war. Solche Namen bedeuteten so gut wie nichts. Man-
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che existierten nur als Bildunterschrift, waren Hinweis auf austauschba-
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