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immer einer rücksichtsvoll den andern allein läßt und, den beunruhigten
Pudel an knapper Leine zurückreißend, vor der versperrten Tür wartet -
mit ihren kurzen, aber gründlichen, von Gymnastikübungen umrahmten
Bädern bei Hochflut, den Pudelspaziergängen mit Apportieren und
fröhlichen, aber ernsthaften Erziehungsexerzitien und sparsamem
Wortwechsel untereinander, erwecken unsere Nachbarn in mir den
Wunsch, wir beide, Reinhard, könnten es eines Tages genau so ange-
nehm haben.
Ich bringe die Zeit durcheinander, entschuldige. Es ist so heiß, die
Sommer sind sich so ähnlich, man kann leicht eine Schaumkrone für ein
Segel halten oder Jahre und Leute miteinander verwechseln.
Aufregungen im Leben unserer Nachbarn liegen so weit zurück, daß
sie nicht mehr genau stimmen, wenn man sich ihrer erinnert, aber das
unterbleibt. Vor Jahren hat der Mann ein Kind überfahren, es war je-
doch nicht seine Schuld, sondern die des Kindes. Die Frau, obwohl sie
das so gut wie jedermann wußte, nahm dem Mann die Selbstsicherheit
übel, mit der er über den Fall redete. Als käme es darauf an, wer die
Schuld hat, fand sie, sie sagte es ihm auch. Weniger nett von ihr, denn
sie hätte spüren müssen, daß der Mann unter dem Unfall litt wie sie,
schuldig oder nicht.
Jetzt vergessen. Während der Mittagsstunden ist es besonders ruhig
am Strand. Oft nehmen unsere Nachbarn sich Lunchpakete mit in die
Strandhütte, bei schönem Wetter; die Lunchpakete des “Juliana” sind so
großzügig gepackt, daß der Pudel kein eigenes Fressen braucht. Die vier
Wochen am Meer, von jeher eine feste Gewohnheit unserer Nachbarn,
waren in dem Jahr nach dem Unfall natürlich keineswegs geruhsam,
obwohl nicht mehr darüber geredet wurde; beide erholten sich nicht
nennenswert. Sie besaßen auch noch keinen Pudel damals, überhaupt
keinen Hund als Ersatz für ihre kleine, vom Vater überfahrene Tochter,
darauf kamen sie erst ein Jahr später, es hat aber auch dann noch nicht
richtig geholfen, die Traurigkeit war doch größer. Im Jahr nach dem
Unfall hatte der Mann immer noch nicht von seiner Marotte genug, der
Frau Vorwürfe zu machen. Schön und gut, ich habe sie überfahren, aber
du hast mit ihr das blödsinnige Privatfest gefeiert und ihr so viel Wein
zu trinken gegeben - die Frau hörte nicht mehr zu. War es anständig,
Monate, nachdem sie den Alkohol aufgegeben hatte, dies Thema ü-
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berhaupt zu berühren? Die Frau fand jahrelang die Auseinanderset-
zungen mit ihrem Mann schlimmer als den Verlust des Kindes, sie haß-
ten sich, wünschten einer des andern Tod - nicht der Rede wert. Jetzt,
am Strand, wird keinem Anlaß für Zorn mehr nachgesonnen. Alles ist
verjährt, scheint es nicht so? Zwei Hütten weiter rechts sieht ein Mäd-
chen der Geliebten des Mannes ähnlich; sehr viele Jahre her, man zählt
nicht nach. Diese Geliebte wäre jetzt älter und dem Mädchen gar nicht
mehr ähnlich. Sie lebt nicht mehr, ihr Selbstmord war der Frau recht:
das genügt nicht, um von Schuld zu sprechen.
Der Pudel ist so lebhaft. Nett zu beobachten. Man selber liegt still.
Kein Wort mehr. Zu reden, das hieße: auch über Gilbert zu reden. Nach
dem von mir verschuldeten tödlichen Unfall unseres Kindes, Reinhard,
war es doch verständlich, daß ich mit Gilbert wegging. Vorbei. Ich
weiß, daß die nochjungen Leute nebenan uns beneiden. Nette ruhige
Leute, werden sie denken, vorwiegend angenehme Erinnerungen. Was
für friedliche Nachbarn, sie sind gut dran. Ja, so wird es von uns heißen.
Ich höre manchmal Streit von nebenan, du auch, Reinhard? Es erinnert
uns an früher. Es erinnert uns an meinen Sohn von Gilbert, an deine
Konsequenz, das Kind nicht in unserm Haus zu dulden. Es erinnert uns
an das gebrochene Versprechen, meinen Vater bei uns aufzunehmen,
aber meine Mutter, sterbend, wußte ja schon nicht mehr, was sie ver-
langte, und übrigens starb mein Vater knapp drei Monate später in ei-
nem sehr ordentlichen Altersheim.
Seit wir nur noch wenig miteinander reden, Reinhard, erholen wir
uns von Sommer zu Sommer besser. Unsere Ernährung ist reich an Vi-
talstoffen. Promenaden bei Vollmond aber lassen wir besser weg. Bes-
ser, wir halten uns an das Normale. Der Pudel amüsiert uns, ein spaßi-
ger Kerl. Das Meer Ist fast schön. Viel Obst, viel Übereinstimmung,
viel Ruhe.
Gabriele Wohmann
G.Wohmann wurde 1932 in Darmstadt geboren. Sie studierte Litera-
tur und arbeitete als Lehrerin in einem Internat auf einer Nordseeinsel.
G. Wohmann lebt heute als freie Schriftstellerin in Darmstadt. Sie ist
Mitglied der Gruppe 47 und des PEN-Zentrüms der Bundesrepublik
Deutschland. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen und
Gedichtbände:
immer einer rücksichtsvoll den andern allein läßt und, den beunruhigten berhaupt zu berühren? Die Frau fand jahrelang die Auseinanderset- Pudel an knapper Leine zurückreißend, vor der versperrten Tür wartet - zungen mit ihrem Mann schlimmer als den Verlust des Kindes, sie haß- mit ihren kurzen, aber gründlichen, von Gymnastikübungen umrahmten ten sich, wünschten einer des andern Tod - nicht der Rede wert. Jetzt, Bädern bei Hochflut, den Pudelspaziergängen mit Apportieren und am Strand, wird keinem Anlaß für Zorn mehr nachgesonnen. Alles ist fröhlichen, aber ernsthaften Erziehungsexerzitien und sparsamem verjährt, scheint es nicht so? Zwei Hütten weiter rechts sieht ein Mäd- Wortwechsel untereinander, erwecken unsere Nachbarn in mir den chen der Geliebten des Mannes ähnlich; sehr viele Jahre her, man zählt Wunsch, wir beide, Reinhard, könnten es eines Tages genau so ange- nicht nach. Diese Geliebte wäre jetzt älter und dem Mädchen gar nicht nehm haben. mehr ähnlich. Sie lebt nicht mehr, ihr Selbstmord war der Frau recht: Ich bringe die Zeit durcheinander, entschuldige. Es ist so heiß, die das genügt nicht, um von Schuld zu sprechen. Sommer sind sich so ähnlich, man kann leicht eine Schaumkrone für ein Der Pudel ist so lebhaft. Nett zu beobachten. Man selber liegt still. Segel halten oder Jahre und Leute miteinander verwechseln. Kein Wort mehr. Zu reden, das hieße: auch über Gilbert zu reden. Nach Aufregungen im Leben unserer Nachbarn liegen so weit zurück, daß dem von mir verschuldeten tödlichen Unfall unseres Kindes, Reinhard, sie nicht mehr genau stimmen, wenn man sich ihrer erinnert, aber das war es doch verständlich, daß ich mit Gilbert wegging. Vorbei. Ich unterbleibt. Vor Jahren hat der Mann ein Kind überfahren, es war je- weiß, daß die nochjungen Leute nebenan uns beneiden. Nette ruhige doch nicht seine Schuld, sondern die des Kindes. Die Frau, obwohl sie Leute, werden sie denken, vorwiegend angenehme Erinnerungen. Was das so gut wie jedermann wußte, nahm dem Mann die Selbstsicherheit für friedliche Nachbarn, sie sind gut dran. Ja, so wird es von uns heißen. übel, mit der er über den Fall redete. Als käme es darauf an, wer die Ich höre manchmal Streit von nebenan, du auch, Reinhard? Es erinnert Schuld hat, fand sie, sie sagte es ihm auch. Weniger nett von ihr, denn uns an früher. Es erinnert uns an meinen Sohn von Gilbert, an deine sie hätte spüren müssen, daß der Mann unter dem Unfall litt wie sie, Konsequenz, das Kind nicht in unserm Haus zu dulden. Es erinnert uns schuldig oder nicht. an das gebrochene Versprechen, meinen Vater bei uns aufzunehmen, Jetzt vergessen. Während der Mittagsstunden ist es besonders ruhig aber meine Mutter, sterbend, wußte ja schon nicht mehr, was sie ver- am Strand. Oft nehmen unsere Nachbarn sich Lunchpakete mit in die langte, und übrigens starb mein Vater knapp drei Monate später in ei- Strandhütte, bei schönem Wetter; die Lunchpakete des “Juliana” sind so nem sehr ordentlichen Altersheim. großzügig gepackt, daß der Pudel kein eigenes Fressen braucht. Die vier Seit wir nur noch wenig miteinander reden, Reinhard, erholen wir Wochen am Meer, von jeher eine feste Gewohnheit unserer Nachbarn, uns von Sommer zu Sommer besser. Unsere Ernährung ist reich an Vi- waren in dem Jahr nach dem Unfall natürlich keineswegs geruhsam, talstoffen. Promenaden bei Vollmond aber lassen wir besser weg. Bes- obwohl nicht mehr darüber geredet wurde; beide erholten sich nicht ser, wir halten uns an das Normale. Der Pudel amüsiert uns, ein spaßi- nennenswert. Sie besaßen auch noch keinen Pudel damals, überhaupt ger Kerl. Das Meer Ist fast schön. Viel Obst, viel Übereinstimmung, keinen Hund als Ersatz für ihre kleine, vom Vater überfahrene Tochter, viel Ruhe. darauf kamen sie erst ein Jahr später, es hat aber auch dann noch nicht Gabriele Wohmann richtig geholfen, die Traurigkeit war doch größer. Im Jahr nach dem G.Wohmann wurde 1932 in Darmstadt geboren. Sie studierte Litera- Unfall hatte der Mann immer noch nicht von seiner Marotte genug, der tur und arbeitete als Lehrerin in einem Internat auf einer Nordseeinsel. Frau Vorwürfe zu machen. Schön und gut, ich habe sie überfahren, aber G. Wohmann lebt heute als freie Schriftstellerin in Darmstadt. Sie ist du hast mit ihr das blödsinnige Privatfest gefeiert und ihr so viel Wein Mitglied der Gruppe 47 und des PEN-Zentrüms der Bundesrepublik zu trinken gegeben - die Frau hörte nicht mehr zu. War es anständig, Deutschland. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen und Monate, nachdem sie den Alkohol aufgegeben hatte, dies Thema ü- Gedichtbände: 89 90
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