Введение в анализ литературного текста. Евтугова Н.Н. - 43 стр.

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“Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mi-
schen”, sagt er, “aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein
zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Sie würden
drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen ... stellen
Sie sich das mal vor.”
Der Fischer nickt.
“Sie würden”, fährt der Tourist fort, “nicht nur heute, sondern mor-
gen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht
viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde?”
Der Fischer schüttelt den Kopf.
“Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen kön-
nen, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten
Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem
Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen - eines Tages würden Sie
zwei Kutter haben, Sie würden ...”, die Begeisterung verschlägt ihm für
ein paar Augenblicke die Stimme, “Sie würden ein kleines Kühlhaus
bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit ei-
nem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen
und Ihren Kuttern per Funk Anweisung geben. Sie könnten die Lachs-
rechte erwerben, ein Frischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwi-
schenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann...”, wieder ver-
schlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im
tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt
er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische
munter springen. “Und dann”, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die
Erregung die Sprache.
Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich
verschluckt hat. “Was dann?” fragt er leise.
“Dann”, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, “dann könnten Sie
beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrli-
che Meer blicken.”
“Aber das tu ich ja schon jetzt”, sagt der Fischer, “ich sitze beruhigt
am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.”
Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von
dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines
Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur
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von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein
wenig Neid.
Helga M. Novak
Schlittenfahren
Das Eigenheim steht in einem Garten. Der Garten ist groß. Durch
den Garten fließt ein Bach. Im Garten stehen zwei Kinder. Das eine der
Kinder kann noch nicht sprechen. Das andere Kind ist größer. Sie sitzen
auf einem Schlitten. Das kleinere Kind weint. Das größere sagt, gib den
Schlitten her. Das kleinere weint. Es schreit.
Aus dem Haus tritt ein Mann. Er sagt, wer brüllt, kommt rein. Er
geht in das Haus zurück. Die Tür fällt hinter ihm zu.
Das kleinere Kind schreit.
Der Mann erscheint wieder in der Haustür. Er sagt, komm rein. Na
wird's bald. Du kommst rein. Nix. Wer brüllt, kommt rein. Komm rein.
Der Mann geht hinein. Die Tür klappt. Das kleinere Kind hält die
Schnur des Schlittens fest. Es schluchzt.
Der Mann öffnet die Haustür. Er sagt, du darfst Schlitten fahren, a-
ber nicht brüllen. Wer brüllt, kommt rein. Ja. Ja. Jaaa. Schluß jetzt.
Das größere Kind sagt, Andreas will immer allein fahren. Der Mann
sagt, wer brüllt, kommt rein. Ob er nun Andreas heißt oder sonstwie.
Er macht die Tür zu.
Das größere Kind nimmt dem kleineren den Schlitten weg. Das klei-
nere Kind schluchzt, quietscht, jault, quengelt.
Der Mann tritt aus dem Haus. Das größere Kind gibt dem kleineren
den Schlitten zurück. Das kleinere Kind setzt sich auf den Schlitten. Es
rodelt.
Der Mann sieht in den Himmel. Der Himmel ist blau. Die Sonne ist
groß und rot. Es ist kalt.
Der Mann pfeift laut. Er geht wieder ins Haus zurück. Er macht die
Tür hinter sich zu.
Das größere Kind ruft, Vati, Vati, Vati, Andreas gibt den Schlitten
nicht mehr her.
    “Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mi-          von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein
schen”, sagt er, “aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein         wenig Neid.
zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Sie würden
drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen ... stellen
Sie sich das mal vor.”                                                                                   Helga M. Novak
    Der Fischer nickt.                                                                                   Schlittenfahren
    “Sie würden”, fährt der Tourist fort, “nicht nur heute, sondern mor-
                                                                                 Das Eigenheim steht in einem Garten. Der Garten ist groß. Durch
gen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht
                                                                              den Garten fließt ein Bach. Im Garten stehen zwei Kinder. Das eine der
viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde?”
                                                                              Kinder kann noch nicht sprechen. Das andere Kind ist größer. Sie sitzen
    Der Fischer schüttelt den Kopf.
                                                                              auf einem Schlitten. Das kleinere Kind weint. Das größere sagt, gib den
    “Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen kön-
                                                                              Schlitten her. Das kleinere weint. Es schreit.
nen, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten
                                                                                 Aus dem Haus tritt ein Mann. Er sagt, wer brüllt, kommt rein. Er
Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem
                                                                              geht in das Haus zurück. Die Tür fällt hinter ihm zu.
Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen - eines Tages würden Sie
                                                                                 Das kleinere Kind schreit.
zwei Kutter haben, Sie würden ...”, die Begeisterung verschlägt ihm für
                                                                                 Der Mann erscheint wieder in der Haustür. Er sagt, komm rein. Na
ein paar Augenblicke die Stimme, “Sie würden ein kleines Kühlhaus
                                                                              wird's bald. Du kommst rein. Nix. Wer brüllt, kommt rein. Komm rein.
bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit ei-
                                                                                 Der Mann geht hinein. Die Tür klappt. Das kleinere Kind hält die
nem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen
                                                                              Schnur des Schlittens fest. Es schluchzt.
und Ihren Kuttern per Funk Anweisung geben. Sie könnten die Lachs-
                                                                                 Der Mann öffnet die Haustür. Er sagt, du darfst Schlitten fahren, a-
rechte erwerben, ein Frischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwi-
                                                                              ber nicht brüllen. Wer brüllt, kommt rein. Ja. Ja. Jaaa. Schluß jetzt.
schenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann...”, wieder ver-
                                                                                 Das größere Kind sagt, Andreas will immer allein fahren. Der Mann
schlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im
                                                                              sagt, wer brüllt, kommt rein. Ob er nun Andreas heißt oder sonstwie.
tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt
                                                                                 Er macht die Tür zu.
er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische
                                                                                 Das größere Kind nimmt dem kleineren den Schlitten weg. Das klei-
munter springen. “Und dann”, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die
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Erregung die Sprache.
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    Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich
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verschluckt hat. “Was dann?” fragt er leise.
                                                                              rodelt.
    “Dann”, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, “dann könnten Sie
                                                                                 Der Mann sieht in den Himmel. Der Himmel ist blau. Die Sonne ist
beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrli-
                                                                              groß und rot. Es ist kalt.
che Meer blicken.”
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    “Aber das tu ich ja schon jetzt”, sagt der Fischer, “ich sitze beruhigt
                                                                              Tür hinter sich zu.
am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.”
                                                                                 Das größere Kind ruft, Vati, Vati, Vati, Andreas gibt den Schlitten
    Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von
                                                                              nicht mehr her.
dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines
Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur


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