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Niemand beachtete es, daß eines der Plakate schlecht geklebt wor-
den war, niemand beachtete es, daß eines davon sich losgerissen hatte,
auf die Schienen wehte und von dem einfahrenden Gegenzug zerfetzt
wurde. Nach einer halben Stunde lag die Station wieder leer und still.
Schräg gegenüber war zwischen den Schienen ein heller Flecken Sand,
als hätte es ihn vom Meer herübergeweht. Der Mann mit der Leiter war
verschwunden. Kein Mensch war zu sehen.
Schuld an dem ganzen Unglück waren die Züge, die um diese Zeit
so selten fuhren, als verwechselten sie Mittag mit Mitternacht. Sie
machten die Kinder ungeduldig. Aber nun senkte sich der Nachmittag
wie ein leichter Schatten über die Station.
Heinrich Böll
Der Lacher
Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, befällt mich Verlegen-
heit: ich werde rot, stammele, ich, der ich sonst als ein sicherer Mensch
bekannt bin. Ich beneide die Leute, die sagen können: ich bin Maurer.
Friseuren, Buchhaltern und Schriftstellern neide ich die Einfachheit ih-
rer Bekenntnisse, denn alle diese Berufe erklären sich aus sich selbst
und erfordern keine längeren Erklärungen. Ich aber bin gezwungen, auf
solche Fragen zu antworten: “Ich bin Lacher.” Ein solches Bekenntnis
erfordert weitere, da ich auch die zweite Frage “Leben Sie davon?”
wahrheitsgemäß mit “Ja” beantworten muß. Ich lebe tatsächlich von
meinem Lachen, und ich lebe gut. denn mein Lachen ist - kommerziell
ausgedrückt - gefragt. Ich bin ein guter, bin ein gelernter Lacher, kein
anderer lacht so wie ich. keiner beherrscht so die Nuancen meiner
Kunst. Lange Zeit habe ich mich - um lästigen Erklärungen zu entgehen
- als Schauspieler bezeichnet, doch sind meine mimischen und spreche-
rischen Fähigkeiten so gering, daß mir diese Bezeichnung als nicht der
Wahrheit gemäß erschien: ich liebe die Wahrheit, und die Wahrheit ist:
ich bin Lacher. Ich bin weder Clown noch Komiker, ich erheitere die
Menschen nicht, sondern stelle Heiterkeit dar: ich lache wie ein römi-
scher Imperator oder wie ein sensibler Abiturient, das Lachen des 17.
Jahrhunderts ist mir so geläufig wie das des 19. und wenn es sein muß,
lache ich alle Jahrhunderte, alle Gesellschaftsklassen, alle Altersklassen
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durch: ich hab's einfach gelernt, so wie man lernt. Schuhe zu besohlen.
Das Lachen Amerikas ruht in meiner Brust, das Lachen Afrikas,
weißes, rotes, gelbes Lachen - und gegen ein entsprechendes Honorar
lasse ich es erklingen, so wie die Regie es vorschreibt.
Ich bin unentbehrlich geworden, ich lache auf Schallplatten, lache
auf Band, und die Hörspielregisseure behandeln mich rücksichtsvoll.
Ich lache schwermütig, gemäßigt, hysterisch – lache wie ein Straßen-
bahnschaffner oder wie ein Lehrling der Lebensmittelbranche; das La-
chen am Morgen, das Lachen am Abend, nächtliches Lachen und das
Lachen der Dämmerstunde, kurzum: wo immer und wie immer gelacht
werden muß: ich mache es schon.
Man wird mir glauben, daß ein solcher Beruf anstrengend ist, -zumal
ich - das ist meine Spezialität - auch das ansteckende Lachen beherr-
sche; so bin ich unentbehrlich geworden auch für Komiker dritten und
vierten Ranges, die mit Recht um ihre Pointen zittern, und ich sitze fast
jeden Abend in den Varietes herum als eine subtilere Art Claqueur, um
an schwachen Stellen des Programms ansteckend zu lachen. Es muß
Maßarbeit sein: mein herzhaftes, wildes Lachen darf nicht zu früh, darf
auch nicht zu spät, es muß im richtigen Augenblick kommen -dann
platze ich programmgemäß aus, die ganze Zuhörerschaft brüllt mit, und
die Pointe ist gerettet.
Ich aber schleiche dann erschöpft zur Garderobe, ziehe meinen Man-
tel über, glücklich darüber, daß ich endlich Feierabend habe. Zu Hause
liegen meist Telegramme für mich “Brauchen dringend Ihr Lachen.
Aufnahme Dienstag”, und ich hocke wenige Stunden später in einem
überheizten D-Zug und beklage mein Geschick.
Jeder wird begreifen, daß ich nach Feierabend oder im Urlaub wenig
Neigung zum Lachen verspüre: der Melker ist froh, wenn er die Kuh,
der Maurer glücklich, wenn er den Mörtel vergessen darf, und die
Tischler haben zu Hause meistens Türen, die nicht funktionieren, oder
Schubkästen, die sich nur mit Mühe öffnen lassen. Zuckerbäcker lieben
saure Gurken, Metzger Marzipan, und der Bäcker zieht die Wurst dem
Brot vor; Stierkämpfer lieben den Umgang mit Tauben. Boxer werden
blaß, wenn ihre Kinder Nasenbluten haben: ich verstehe das alles, denn
ich lache nach Feierabend nie. Ich bin ein todernster Mensch, und die
Niemand beachtete es, daß eines der Plakate schlecht geklebt wor- durch: ich hab's einfach gelernt, so wie man lernt. Schuhe zu besohlen. den war, niemand beachtete es, daß eines davon sich losgerissen hatte, Das Lachen Amerikas ruht in meiner Brust, das Lachen Afrikas, auf die Schienen wehte und von dem einfahrenden Gegenzug zerfetzt weißes, rotes, gelbes Lachen - und gegen ein entsprechendes Honorar wurde. Nach einer halben Stunde lag die Station wieder leer und still. lasse ich es erklingen, so wie die Regie es vorschreibt. Schräg gegenüber war zwischen den Schienen ein heller Flecken Sand, Ich bin unentbehrlich geworden, ich lache auf Schallplatten, lache als hätte es ihn vom Meer herübergeweht. Der Mann mit der Leiter war auf Band, und die Hörspielregisseure behandeln mich rücksichtsvoll. verschwunden. Kein Mensch war zu sehen. Ich lache schwermütig, gemäßigt, hysterisch – lache wie ein Straßen- Schuld an dem ganzen Unglück waren die Züge, die um diese Zeit bahnschaffner oder wie ein Lehrling der Lebensmittelbranche; das La- so selten fuhren, als verwechselten sie Mittag mit Mitternacht. Sie chen am Morgen, das Lachen am Abend, nächtliches Lachen und das machten die Kinder ungeduldig. Aber nun senkte sich der Nachmittag Lachen der Dämmerstunde, kurzum: wo immer und wie immer gelacht wie ein leichter Schatten über die Station. werden muß: ich mache es schon. Man wird mir glauben, daß ein solcher Beruf anstrengend ist, -zumal ich - das ist meine Spezialität - auch das ansteckende Lachen beherr- Heinrich Böll sche; so bin ich unentbehrlich geworden auch für Komiker dritten und Der Lacher vierten Ranges, die mit Recht um ihre Pointen zittern, und ich sitze fast jeden Abend in den Varietes herum als eine subtilere Art Claqueur, um Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, befällt mich Verlegen- an schwachen Stellen des Programms ansteckend zu lachen. Es muß heit: ich werde rot, stammele, ich, der ich sonst als ein sicherer Mensch Maßarbeit sein: mein herzhaftes, wildes Lachen darf nicht zu früh, darf bekannt bin. Ich beneide die Leute, die sagen können: ich bin Maurer. auch nicht zu spät, es muß im richtigen Augenblick kommen -dann Friseuren, Buchhaltern und Schriftstellern neide ich die Einfachheit ih- platze ich programmgemäß aus, die ganze Zuhörerschaft brüllt mit, und rer Bekenntnisse, denn alle diese Berufe erklären sich aus sich selbst die Pointe ist gerettet. und erfordern keine längeren Erklärungen. Ich aber bin gezwungen, auf Ich aber schleiche dann erschöpft zur Garderobe, ziehe meinen Man- solche Fragen zu antworten: “Ich bin Lacher.” Ein solches Bekenntnis tel über, glücklich darüber, daß ich endlich Feierabend habe. Zu Hause erfordert weitere, da ich auch die zweite Frage “Leben Sie davon?” liegen meist Telegramme für mich “Brauchen dringend Ihr Lachen. wahrheitsgemäß mit “Ja” beantworten muß. Ich lebe tatsächlich von Aufnahme Dienstag”, und ich hocke wenige Stunden später in einem meinem Lachen, und ich lebe gut. denn mein Lachen ist - kommerziell überheizten D-Zug und beklage mein Geschick. ausgedrückt - gefragt. Ich bin ein guter, bin ein gelernter Lacher, kein Jeder wird begreifen, daß ich nach Feierabend oder im Urlaub wenig anderer lacht so wie ich. keiner beherrscht so die Nuancen meiner Neigung zum Lachen verspüre: der Melker ist froh, wenn er die Kuh, Kunst. Lange Zeit habe ich mich - um lästigen Erklärungen zu entgehen der Maurer glücklich, wenn er den Mörtel vergessen darf, und die - als Schauspieler bezeichnet, doch sind meine mimischen und spreche- Tischler haben zu Hause meistens Türen, die nicht funktionieren, oder rischen Fähigkeiten so gering, daß mir diese Bezeichnung als nicht der Schubkästen, die sich nur mit Mühe öffnen lassen. Zuckerbäcker lieben Wahrheit gemäß erschien: ich liebe die Wahrheit, und die Wahrheit ist: saure Gurken, Metzger Marzipan, und der Bäcker zieht die Wurst dem ich bin Lacher. Ich bin weder Clown noch Komiker, ich erheitere die Brot vor; Stierkämpfer lieben den Umgang mit Tauben. Boxer werden Menschen nicht, sondern stelle Heiterkeit dar: ich lache wie ein römi- blaß, wenn ihre Kinder Nasenbluten haben: ich verstehe das alles, denn scher Imperator oder wie ein sensibler Abiturient, das Lachen des 17. ich lache nach Feierabend nie. Ich bin ein todernster Mensch, und die Jahrhunderts ist mir so geläufig wie das des 19. und wenn es sein muß, lache ich alle Jahrhunderte, alle Gesellschaftsklassen, alle Altersklassen 81 82
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