Введение в анализ литературного текста. Евтугова Н.Н. - 42 стр.

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Leute halten mich - vielleicht mit Recht -für einen Pessimisten. In den
ersten Jahren unserer Ehe sagte meine Frau oft zu mir:
“Lach doch mal!”, aber inzwischen ist ihr klargeworden, daß ich
diesen Wunsch nicht erfüllen kann. Ich bin glücklich, wenn ich meine
angestrengten Gesichtsmuskeln, wenn ich mein strapaziertes Gemüt
durch tiefen Ernst entspannen darf. Ja, auch das Lachen anderer macht
mich nervös, weil es mich zu sehr an meinen Beruf erinnert. So führen
wir eine stille, eine friedliche Ehe, weil auch meine Frau das Lachen
verlernt hat: hin und wieder ertappe ich sie bei einem Lächeln, und dann
lächele auch ich. Wir sprechen leise miteinander, denn ich hasse den
Lärm des Varietes, hasse den Lärm, der in den Autnahmeräumen herr-
schen kann. Menschen, die mich nicht kennen, halten mich für ver-
schlossen. Vielleicht bin ich es, weil ich zu oft meinen Mund zum La-
chen öffnen muß. Mit unbewegter Miene gehe ich durch mein eigenes
Leben, erlaube mir nur hin und wieder ein sanftes Lächeln, und ich
denke oft darüber nach, ob ich wohl je gelacht habe. Ich glaube: nein.
Meine Geschwister wissen zu berichten. daß ich immer ein ernster Jun-
ge gewesen sei.
So lache ich auf vielfältige Weise, aber mein eigenes Lachen kenne
ich nicht.
Heinrich Böll
Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral
In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich
gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezoge-
ner Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um
das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit
friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fi-
schermütze. Klick. Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei
sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick. Das spröde, fast feind-
selige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrich-
tet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt; aber bevor er das
Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor
die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt,
aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges,
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schließt die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum meßbare, nie
nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegen-
heit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig - durch ein
Gespräch zu überbrücken versucht.
“Sie werden heute einen guten Fang machen.” Kopfschütteln des Fi-
schers.
“Aber man hat mir gesagt, daß das Wetter günstig ist.” Kopfnicken
des Fischers. “Sie werden also nicht ausfahren?”
Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Ge-
wiß liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen,
nagt an ihm die Trauer über die verpaßte Gelegenheit.
“Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?”
Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft ge-
sprochenen Wort über. “Ich fühle mich großartig”, sagt er. “Ich habe
mich nie besser gefühlt.” Er steht auf, reckt sich, als wolle er demonst-
rieren, wie athletisch er gebaut ist. “Ich fühle mich phantastisch.”
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er
kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu
sprengen droht: “Aber warum fahren Sie dann nicht aus?”
Die Antwort kommt prompt und knapp. “Weil ich heute morgen
schon ausgefahren bin.”
“War der Fang gut?”
“Er war so gut, daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich
habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makre-
len gefangen ...”
Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen
beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgter Gesichtsausdruck er-
scheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender
Kümmernis.
“Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug”, sagt er, um des
Fremden Seele zu erleichtern. “Rauchen Sie eine von meinen?”
“Ja, danke.”
Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde
setzt sich kopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der
Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu
verleihen.
Leute halten mich - vielleicht mit Recht -für einen Pessimisten. In den       schließt die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum meßbare, nie
ersten Jahren unserer Ehe sagte meine Frau oft zu mir:                        nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegen-
   “Lach doch mal!”, aber inzwischen ist ihr klargeworden, daß ich            heit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig - durch ein
diesen Wunsch nicht erfüllen kann. Ich bin glücklich, wenn ich meine          Gespräch zu überbrücken versucht.
angestrengten Gesichtsmuskeln, wenn ich mein strapaziertes Gemüt                  “Sie werden heute einen guten Fang machen.” Kopfschütteln des Fi-
durch tiefen Ernst entspannen darf. Ja, auch das Lachen anderer macht         schers.
mich nervös, weil es mich zu sehr an meinen Beruf erinnert. So führen             “Aber man hat mir gesagt, daß das Wetter günstig ist.” Kopfnicken
wir eine stille, eine friedliche Ehe, weil auch meine Frau das Lachen         des Fischers. “Sie werden also nicht ausfahren?”
verlernt hat: hin und wieder ertappe ich sie bei einem Lächeln, und dann          Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Ge-
lächele auch ich. Wir sprechen leise miteinander, denn ich hasse den          wiß liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen,
Lärm des Varietes, hasse den Lärm, der in den Autnahmeräumen herr-            nagt an ihm die Trauer über die verpaßte Gelegenheit.
schen kann. Menschen, die mich nicht kennen, halten mich für ver-                 “Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?”
schlossen. Vielleicht bin ich es, weil ich zu oft meinen Mund zum La-             Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft ge-
chen öffnen muß. Mit unbewegter Miene gehe ich durch mein eigenes             sprochenen Wort über. “Ich fühle mich großartig”, sagt er. “Ich habe
Leben, erlaube mir nur hin und wieder ein sanftes Lächeln, und ich            mich nie besser gefühlt.” Er steht auf, reckt sich, als wolle er demonst-
denke oft darüber nach, ob ich wohl je gelacht habe. Ich glaube: nein.        rieren, wie athletisch er gebaut ist. “Ich fühle mich phantastisch.”
Meine Geschwister wissen zu berichten. daß ich immer ein ernster Jun-             Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er
ge gewesen sei.                                                               kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu
   So lache ich auf vielfältige Weise, aber mein eigenes Lachen kenne         sprengen droht: “Aber warum fahren Sie dann nicht aus?”
ich nicht.                                                                        Die Antwort kommt prompt und knapp. “Weil ich heute morgen
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                            Heinrich Böll                                         “Er war so gut, daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich
                Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral                         habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makre-
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    In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich
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gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezoge-
                                                                              beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgter Gesichtsausdruck er-
ner Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um
                                                                              scheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender
das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit
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friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fi-
                                                                                  “Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug”, sagt er, um des
schermütze. Klick. Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei
                                                                              Fremden Seele zu erleichtern. “Rauchen Sie eine von meinen?”
sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick. Das spröde, fast feind-
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selige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrich-
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tet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt; aber bevor er das
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Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor
                                                                              Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu
die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt,
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aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges,

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