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Die Haustür geht auf. Der Mann steckt den Kopf heraus. Er sagt, wer
brüllt, kommt rein. Die Tür geht zu. Das größere Kind ruft, Vati, Vati-
vativati, Vaaatiii, jetzt ist Andreas in den Bach gefallen.
Die Haustür öffnet sich einen Spalt breit. Eine Männerstimme ruft,
wie oft soll ich das noch sagen, wer brüllt, kommt rein.
Rainer Brambach
Besuch bei Franz
Manchmal lösen sich Blätter aus dem Ahorngeäst; sie segeln auf den
Kiesweg herab oder werden vom Wind über die Gräber getrieben. An
der Buchshecke bleiben sie hängen. Ich lese die Namen und Zahlen auf
den Steinen und Kreuzen; ein langes Leben, ein kurzes Leben; eines
war vor siebzehn Jahren zu Ende, ein anderes vor fünf Jahren und ein
drittes in diesem Frühjahr. Genau gesagt, im April. Ich spucke im Bo-
gen über den Kiesweg. Für Franz. Und weil es für ihn geschieht, gelingt
es mir prächtig. Dort, wo die herrlich blauen Astern in der Blechbüchse
stehen, liegt Franz. Er spuckte oft in seine mörtelgrauen Hände. Das
war seine Art. Und einmal spuckte er dem zitronengesichtigen Parlier
vom Gerüst herunter präzise auf den Kopf. Was für ein Krawall! Der
Parlier zappelte unten zwischen Sandhaufen und Bretterstapeln herum:
“Cretino!” schrie er herauf. “Kartoffelfresser!” schrie er.
“Tabaksaft, noch immer das beste Mittel gegen Läuse!” rief Franz
nach unten. Ich hielt mich an einer Planke fest; die Welt verschwamm
vor meinen Augen, nein, ich habe selten so gelacht.
Wenige Tage später fiel Franz vom Gerüst. Unbegreiflich. Franz fiel
fünf Stockwerke tief.
Übrigens hat der Parlier dem Franz verziehen; er kam feierlich
schwarz zur Bestattung und hat als einziger geweint. Verstehe einer die-
se Südländer!
Gabriele Wohmann
Verjährt
Nette Leute, unsere Nachbarn in der Strandhütte rechts, die Leute
mit dem Pudel. Ruhige Leute, mit vorwiegend angenehmen Erinnerun-
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gen. Sie verbringen jeden Sommer hier, kaum wissen sie noch, seit
wann. Sie haben auch letztes Jahr im “Juliana” gewohnt, waren einmal
am Leuchtturm, mit Rast in der Teebude, bei ähnlichem Wetter wie im
Jahr davor oder danach. Es kommt ihnen auf Übereinstimmung an, je
mehr die Ferien sich gleichen, desto besser die Erholung. Öfter im Ha-
fenort, die etwas längere, aber auch lohnendere Unternehmung. Doch
noch immer haben sie sich nicht dazu aufgerafft, in einer Vollmond-
nacht längs des Abschlußdamms zu promenieren. Wiedermal versäum-
ten sie an keinem ihrer vier Mittwochnachmittage das Folklorefest im
Hauptort der Insel, vorher Einkäufe, Mittagessen, als Ausklang Eis. Es
pflegt sie stets einigermaßen anzustrengen, im überfüllten Städtchen
findet der Mann nur mit Mühe einen Parkplatz; aber es gehört dazu und
ist nett, war nett, immer gewesen. Findest du nicht, Reinhard?
Sie mieten immer eine der Strandhütten auf der Nordseite, sie finden
den dortigen Strandhüttenvermieter sympathischer, sie melden sich im-
mer rechtzeitig an und bestehen auf einer der höheren Nummern, meis-
tens wohnen sie in einer Hütte zwischen 60 und 65. Sie haben es gern
ruhig. Der etwas weitere Weg, Preis dieser Ruhe, ist schließlich gesund.
Sie redeten auch vor drei Jahren über den Pudel, beispielsweise. Der
Pudel, das Wetter, der Badewärter, der Jeep des Badewärters, Badean-
züge, Mahlzeiten im “Juliana”. Vielleicht sind einige ihrer Sätze frühe-
ren Sätzen zufällig aufs Wort gleich, das wäre wahrscheinlich, zumin-
dest bei kurzen Sätzen. Die Bedienung im “Juliana” wechselt, aber das
bringt wenig Veränderung mit sich, denn alle Kellnerinnen und Kellner
und auch die Zimmermädchen sind freundlich und vergeßlich, als ma-
che die Hotelleitung bei neuen Engagements gerade nur diese beiden
Eigenschaften zur Bedingung.
Übrigens haben vor ungefähr fünfzehn Jahren unsere netten ruhigen
Nachbarn sich den Frieden gewünscht, in dem sie jetzt längst leben. Das
Erreichte scheint sie manchmal fast zu lahmen. Stundenlang reden sie
kein Wort miteinander. Dann wieder das Hotelessen, der Vorschlag
spazierenzugehen, die lauten ballspielenden Leute in der Strandhütte
links, unsere Nachbarn bedauern, daß der Strandhüttenvermieter nicht
darauf geachtet hat, ihr Ruhebedürfnis zu respektieren, er wird es nicht
so genau wissen, wir wollen keinen Streit anfangen. Mit ihrem
Apfelfrühstück, den Rauchpausen, dem Umkleiden in der Hütte - wobei
Die Haustür geht auf. Der Mann steckt den Kopf heraus. Er sagt, wer gen. Sie verbringen jeden Sommer hier, kaum wissen sie noch, seit brüllt, kommt rein. Die Tür geht zu. Das größere Kind ruft, Vati, Vati- wann. Sie haben auch letztes Jahr im “Juliana” gewohnt, waren einmal vativati, Vaaatiii, jetzt ist Andreas in den Bach gefallen. am Leuchtturm, mit Rast in der Teebude, bei ähnlichem Wetter wie im Die Haustür öffnet sich einen Spalt breit. Eine Männerstimme ruft, Jahr davor oder danach. Es kommt ihnen auf Übereinstimmung an, je wie oft soll ich das noch sagen, wer brüllt, kommt rein. mehr die Ferien sich gleichen, desto besser die Erholung. Öfter im Ha- fenort, die etwas längere, aber auch lohnendere Unternehmung. Doch noch immer haben sie sich nicht dazu aufgerafft, in einer Vollmond- Rainer Brambach nacht längs des Abschlußdamms zu promenieren. Wiedermal versäum- Besuch bei Franz ten sie an keinem ihrer vier Mittwochnachmittage das Folklorefest im Hauptort der Insel, vorher Einkäufe, Mittagessen, als Ausklang Eis. Es Manchmal lösen sich Blätter aus dem Ahorngeäst; sie segeln auf den pflegt sie stets einigermaßen anzustrengen, im überfüllten Städtchen Kiesweg herab oder werden vom Wind über die Gräber getrieben. An findet der Mann nur mit Mühe einen Parkplatz; aber es gehört dazu und der Buchshecke bleiben sie hängen. Ich lese die Namen und Zahlen auf ist nett, war nett, immer gewesen. Findest du nicht, Reinhard? den Steinen und Kreuzen; ein langes Leben, ein kurzes Leben; eines Sie mieten immer eine der Strandhütten auf der Nordseite, sie finden war vor siebzehn Jahren zu Ende, ein anderes vor fünf Jahren und ein den dortigen Strandhüttenvermieter sympathischer, sie melden sich im- drittes in diesem Frühjahr. Genau gesagt, im April. Ich spucke im Bo- mer rechtzeitig an und bestehen auf einer der höheren Nummern, meis- gen über den Kiesweg. Für Franz. Und weil es für ihn geschieht, gelingt tens wohnen sie in einer Hütte zwischen 60 und 65. Sie haben es gern es mir prächtig. Dort, wo die herrlich blauen Astern in der Blechbüchse ruhig. Der etwas weitere Weg, Preis dieser Ruhe, ist schließlich gesund. stehen, liegt Franz. Er spuckte oft in seine mörtelgrauen Hände. Das Sie redeten auch vor drei Jahren über den Pudel, beispielsweise. Der war seine Art. Und einmal spuckte er dem zitronengesichtigen Parlier Pudel, das Wetter, der Badewärter, der Jeep des Badewärters, Badean- vom Gerüst herunter präzise auf den Kopf. Was für ein Krawall! Der züge, Mahlzeiten im “Juliana”. Vielleicht sind einige ihrer Sätze frühe- Parlier zappelte unten zwischen Sandhaufen und Bretterstapeln herum: ren Sätzen zufällig aufs Wort gleich, das wäre wahrscheinlich, zumin- “Cretino!” schrie er herauf. “Kartoffelfresser!” schrie er. dest bei kurzen Sätzen. Die Bedienung im “Juliana” wechselt, aber das “Tabaksaft, noch immer das beste Mittel gegen Läuse!” rief Franz bringt wenig Veränderung mit sich, denn alle Kellnerinnen und Kellner nach unten. Ich hielt mich an einer Planke fest; die Welt verschwamm und auch die Zimmermädchen sind freundlich und vergeßlich, als ma- vor meinen Augen, nein, ich habe selten so gelacht. che die Hotelleitung bei neuen Engagements gerade nur diese beiden Wenige Tage später fiel Franz vom Gerüst. Unbegreiflich. Franz fiel Eigenschaften zur Bedingung. fünf Stockwerke tief. Übrigens haben vor ungefähr fünfzehn Jahren unsere netten ruhigen Übrigens hat der Parlier dem Franz verziehen; er kam feierlich Nachbarn sich den Frieden gewünscht, in dem sie jetzt längst leben. Das schwarz zur Bestattung und hat als einziger geweint. Verstehe einer die- Erreichte scheint sie manchmal fast zu lahmen. Stundenlang reden sie se Südländer! kein Wort miteinander. Dann wieder das Hotelessen, der Vorschlag spazierenzugehen, die lauten ballspielenden Leute in der Strandhütte links, unsere Nachbarn bedauern, daß der Strandhüttenvermieter nicht Gabriele Wohmann darauf geachtet hat, ihr Ruhebedürfnis zu respektieren, er wird es nicht Verjährt so genau wissen, wir wollen keinen Streit anfangen. Mit ihrem Nette Leute, unsere Nachbarn in der Strandhütte rechts, die Leute Apfelfrühstück, den Rauchpausen, dem Umkleiden in der Hütte - wobei mit dem Pudel. Ruhige Leute, mit vorwiegend angenehmen Erinnerun- 87 88
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