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Dabei sieht sie zwar die Frauen in der Rolle der Unterdrückten, die geschichtlich
besiegt und zu Objekten gemacht wurden; sie will aber die Männer nicht als die
Agressoren und Täter dargestellt wissen, sondern ebenfalls als Opfer der patriarchalen
Ordnung, die sich über die Jahrhunderte verbiegen mussten, um den Ansprüchen der
„männlichen Gesellschaft“ zu genügen, und sich dabei selbst Gewalt angetan haben.
"Wolf sucht angesichts des atomaren Vernichtungspotenzials nach Möglichkeiten, das
„hierarchisch-männliche Realitätsprinzip“, dessen Realitätsverständnis sie nicht mehr
miträgt, außer Kraft zu setzen.“ Das „hierarchisch-männliche Realitätsprinzip“ wird
näher erläutert in: Demnach ist es gekennzeichnet durch Besitz, Hierarchie,
Konkurrenz, Leistung, Effizienz, Gigantismus, Herrschaftsdenken.
Christa Wolf ist hier beeinflusst durch Bachofen, Engels und Mumford.
Dieses Thema spielt auch wie oben bereits angedeutet eine Rolle in Christa Wolfs
restlichem Werk, sehr deutlich z.B. in „Selbstversuch“.
Aktuelle Bezüge der Medea
Christa Wolf schrieb diese Erzählung unter dem Eindruck der Ereignisse nach
1990. Obwohl es zu flach wäre, „Medea“ als einen „Wenderoman“ zu interpretieren,
Kolchis die DDR und Korinth die BRD zuzuordnen und Christa Wolf selbst die Rolle
der Medea, ist zu bemerken, dass Wolf in ihren Werken meist starken Bezug nimmt auf
das Tagesgeschehen sowie auf ihre eigene Biographie. Sie propagiert die "Erfahrung"
als wichtigstes Kriterium beim Schreiben, und so gründet denn auch "Medea" sicherlich
auf Christa Wolfs ganz eigener Erfahrung.
Zudem drängt sich stellenweise eine Assoziation der Staaten Kolchis und Korinth
mit den beiden deutschen Staaten auf. Wichtig ist dabei, dass weder Kolchis noch
Korinth idealisiert dargestellt werden. Beide gründen auf einem Verbrechen, das in
patriarchaler Tradition und gegen die Menschlichkeit von den Machthabenden verübt
wurde.
Rezeption, Kritik, Echo
Wie schon im Fall der Erzählung "Was bleibt" wurde Wolf auch für „Medea“
unterstellt, dass sie sich damit selbst als Opfer darstellen wollte.
Nicht wenige Kritiker blieben an der oberflächlichen Interpretation haften, die, wie
oben bereits gesagt, Kolchis und Korinth mit DDR und BRD identifiziert und
reduzierten die Erzählung so auf weniger als sie ist. „Medea“ hat viele
Bedeutungsebenen, deren obige eine ist; die entscheidende Thematik ist viel weiter
gefasst: Das zentrale Thema des Romans konzentriert sich auf die Frage nach den
Ursprüngen der Gewalt, wie sie sich auf Medeas Weg aus einer einfachen Welt in eine
weiter entwickelte Gesellschaft manifestiert.“ In Briefen und Interviews sagt Christa
Wolf dazu: „Ich denke es sind immer die gleichen Gründe, die Gruppen von Menschen
dazu bringen, andere zu entwerten und zu dämonisieren: Unkenntnis, Angst, Abwehr,
Schuldgefühle, Entlastungsbedürfnis. Das ist ja nun auch unsere jüngste Erfahrung.“
Welche grundlegend verschiedenen Wertesysteme stoßen aufeinander, und inwiefern
legt die Medea-Geschichte Zeugnis davon ab, dass die Vertreter der „höheren“, will
heißen: siegreichen Werte niemals bereit und in der Lage sind, die Lebensweise, die
Ziele und Ideale, die Glaubensvorstellungen der unterlegenen Gruppen, sozialen
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