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SPIEGEL: Sie halten die Rechtschreibreform für entbehrlich?
Enzensberger: Eine solche «Reform» ist natürlich so überflüssig wie ein Kropf.
Nur Zwangsneurotiker können wegen solcher Bagatellen jahrzehntelang Steuergelder
in Ausschüssen und Kommissionen verdauen. Ich zitiere Ihnen einen beliebigen Satz
aus Wielands «Gesprächen unter vier Augen»: «Von einer Republik, die auf die
Rechte der Menschheit gegründet sein will, und mit den großen Zauberworten,
Freiheit und Gleichheit, Vernunft, Philosophie und Filanthropie, so viel Geräusch und
Geklingel macht, sollte man doch wohl mit gutem Fug ein besseres Beispiel erwarten
dürfen». Wie viele «Schreib- und Kommafehler» würden die Anbeter des Dudens in
diesem Satz finden, je nachdem, welche Auflage ihrer heiligen Schrift sie gerade zu
Rate ziehen? Sechs? Sieben? Acht? Dabei muss man schon ein ganz besonderer
Trottel sein, um nicht zu begreifen, was Wieland meint und was niemand besser
ausdrücken konnte als er. Wer ist überhaupt dieser Herr Konrad Duden? Irgendein
Sesselfurzer? Ich halte mich lieber an Lessing, Lichtenberg, Kleist und Kafka.
SPIEGEL: Haben Sie die «Frankfurter Erklärung» als Lyriker unterschrieben
oder als politischer Zwischenrufer?
Enzensberger: Ein Engländer – ich glaube, es war Shelley – hat einmal gesagt,
die Schriftsteller seien die wahren Gesetzgeber der Sprache. So weit möchte ich nicht
gehen, aber im Zweifelsfall würde ich einem, der schreiben kann, eher trauen als
Ministerialdirigenten und Schulbuchverlegern, die oft ihrer eigenen Sprache nicht
mächtig sind.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich diesen neuen Regulierungswahn der Deutschen
- im vertraglich gesicherten Verbund mit Österreichern und Schweizern?
Kompensation für die Unfähigkeit, wichtigere Probleme der deutschen Gesellschaft zu
lösen?
Enzensberger: Die Orthographie war in Deutschland seit dem Wilhelminismus
ein reiner Amtsfetisch. Die Regierungen sollten die Finger von Dingen lassen, von
denen sie nichts verstehen und für die sie nicht kompetent sind. Die sogenannten
Regelwerke sind Ersatzhandlungen, mit denen die kulturpolitische Impotenz kaschiert
werden soll. Es ist für das Verständnis völlig unerheblich, ob es «Stengel» heißt oder
«Stängel», ob man «im Klaren» groß oder klein schreibt – es kommt vielmehr darauf
an, ob jemand in der Lage ist, sich klar auszudrücken. Darum sollten sich die
Pädagogen kümmern, statt eine alte Zwangsjacke durch eine neue zu ersetzen.
SPIEGEL: Wünschen Sie sich eine andere Art von Sprachreform?
Enzensberger: Ich wünsche, dass mich der Staat beim Schreiben in Ruhe lässt.
SPIEGEL: Warum sind die deutschen Schriftsteller so spät aufgewacht?
Enzensberger: Ich habe nicht geschlafen. Auf jedem Manuskript, das ich an
meinen Verlag sende, steht seit Jahrzehnten mit großen roten Buchstaben: „Nicht nach
Duden!“ Allen Lehrern der Republik würde ich raten, den Schwachsinn der neuen
„amtlichen Regelung“ stillschweigend zu ignorieren. Die Schulen haben Besseres zu
tun. Vorschriften, die niemand beachtet, machen sich lächerlich. Sie erledigen sich
von selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass maßgebende Verlage wie Rowohlt,
Hanser oder Suhrkamp so dumm sein werden, ihre Bücher einzustampfen. Auch die
großen Zeitungen täten gut daran, sich taub zu stellen. Gegen diese Form der zivilen
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