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BERND SCHIRMER
JETZT
Jetzt erzä hle ich von Frau Heinrich, und ich pfeife darauf, woher der Erzä hler
das alles weiß. Frau Heinrich hat eine Zweizimmerwohnung, das vorweg, und
die wurde nach der Scheidung ihr zugesprochen, wegen der Kinder. Das ist
zwanwig Monate her. Der Vater der Kinder lebt in einer anderen Stadt, er wird
selten erwähnt. Wenn er zu den Kindern kommt, ist er da. Wenn nicht, dann
nicht. Er steuert bei, was er beizusteuern hat, und zu den Geburtstagen schickt er
den Kindern Pä ckchen. Frau Heinrich hat nicht wieder geheiratet.
Aber jetzt fängt die Geschichte an. Jetzt öffnet Frau Heinrich eine Tür, erst
einen Spalt, dann ganz. Sie hat etwas gehört, aber es ist nichts. Sie tritt aus dem
Zimmer, schließt lautlos die Tür und geht die wenigen Schritte zum
Kinderzimmer. Die Kinder liegen aufgedeckt, sie deckt sie zu. Dann geht sie ins
Bad. Sie hätte sowieso bald aufstehen müssen, nun bleibt sie auf.
Jetzt steht sie vor dem Spiegel. Sie zieht sich das Nachthemd über den Kopf und
betrachtet sich einige Zeit. Eigentlich ist sie noch jung, und die Büchmann hat
gesagt: Wie du das so aushä ltst, ich würde das nie aushalten, ich seh auch keinen
Grund dafür. An den Nä hmaschinen ist gekichert und getuschelt worden, wer es
aushä lt, so, ohne zu, und mehrere Jahre, ein Zufall sei es dann nicht, daß ihr der
Mann weggelaufen ist. Aber die alte Nestler hatte abgewinkt, laß sie reden, was
wissen denn die, und die Hahnfuß, ihre Freundin, gleichfalls geschieden, die
hatte gesagt: Aus Liebe nicht mehr, aus Freundschaft, gut, das ist eine andere
Sache. Aber die Hahnfuß redet auch bloß so daher, überhaupt reden alle so
daher, genau wie die Nä hmaschinen daherschnarren, immer dasselbe.
Frau Heinrich, Margarita, wäscht sich jetzt mit kaltem Wasser skeptisch die
Brüste. Aber auf einmal ist sie froh. Sie ist froh wie lange nicht. Als hätte sie
alle überlistet, die Büchmann, die Hahnfuß. Und sich selber. Sie füllt, wie jeden
Morgen, lauwarmes Wasser in die beiden Zahnputzbecher und drückt auf die
Zahnbürste von Astrid zwei Zentimeter Zahnpasta, auf die von Stefan einen
Zentimeter. Sie zieht sich rasch an. Es ist alles wie sonst, und es ist nicht wie
sonst.
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3 BERND SCHIRMER JETZT Jetzt erzä hle ich von Frau Heinrich, und ich pfeife darauf, woher der Erzä hler das alles weiß. Frau Heinrich hat eine Zweizimmerwohnung, das vorweg, und die wurde nach der Scheidung ihr zugesprochen, wegen der Kinder. Das ist zwanwig Monate her. Der Vater der Kinder lebt in einer anderen Stadt, er wird selten erwä hnt. Wenn er zu den Kindern kommt, ist er da. Wenn nicht, dann nicht. Er steuert bei, was er beizusteuern hat, und zu den Geburtstagen schickt er den Kindern Pä ckchen. Frau Heinrich hat nicht wieder geheiratet. Aber jetzt fä ngt die Geschichte an. Jetzt öffnet Frau Heinrich eine Tür, erst einen Spalt, dann ganz. Sie hat etwas gehört, aber es ist nichts. Sie tritt aus dem Zimmer, schließt lautlos die Tür und geht die wenigen Schritte zum Kinderzimmer. Die Kinder liegen aufgedeckt, sie deckt sie zu. Dann geht sie ins Bad. Sie hä tte sowieso bald aufstehen müssen, nun bleibt sie auf. Jetzt steht sie vor dem Spiegel. Sie zieht sich das Nachthemd über den Kopf und betrachtet sich einige Zeit. Eigentlich ist sie noch jung, und die Büchmann hat gesagt: Wie du das so aushä ltst, ich würde das nie aushalten, ich seh auch keinen Grund dafür. An den Nä hmaschinen ist gekichert und getuschelt worden, wer es aushä lt, so, ohne zu, und mehrere Jahre, ein Zufall sei es dann nicht, daß ihr der Mann weggelaufen ist. Aber die alte Nestler hatte abgewinkt, laß sie reden, was wissen denn die, und die Hahnfuß, ihre Freundin, gleichfalls geschieden, die hatte gesagt: Aus Liebe nicht mehr, aus Freundschaft, gut, das ist eine andere Sache. Aber die Hahnfuß redet auch bloß so daher, überhaupt reden alle so daher, genau wie die Nä hmaschinen daherschnarren, immer dasselbe. Frau Heinrich, Margarita, wä scht sich jetzt mit kaltem Wasser skeptisch die Brüste. Aber auf einmal ist sie froh. Sie ist froh wie lange nicht. Als hä tte sie alle überlistet, die Büchmann, die Hahnfuß. Und sich selber. Sie füllt, wie jeden Morgen, lauwarmes Wasser in die beiden Zahnputzbecher und drückt auf die Zahnbürste von Astrid zwei Zentimeter Zahnpasta, auf die von Stefan einen Zentimeter. Sie zieht sich rasch an. Es ist alles wie sonst, und es ist nicht wie sonst. PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com