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FRANZ FÜ HMANN
SPIEGELGESCHICHTE
Daß ich diese kleine Geschichte so erlebte, wie ich sie erlebte, verdanke ich nur
einem Spiegel, und wenn es aus ihr eine Lehre gälte, dann vielleicht die, in
Kulturrä umen keine Spiegel anzubringen und schon vorhandene zu verhä ngen.
Jener, den ich meine, hing oder hängt vielleicht noch immer im Eß- und
Kulturraum der thüringischen Steinsalzgrube zu T., oder genauer, er ist dort
eingelassen, und ganz genau sind es ihrer zwei, in den Innenseiten der flachen
Pfeiler, die sich die schmale Front nach vorn, gleich hinter der im Sommer
stä ndig offengehaltenen Schwingtür erheben, so daß man vom unteren Ende des
Mitteltisches in den gleich hinter der Tür rechtwinklig geknickten Gang bis zur
Freitreppe nach außen blicken kann. Sie waren, die Spiegel, mit einer dicken
Goldleiste umgeben, einer runden, zweifach kannelierten Ü berhöhung, aber das
spielt jetzt keine Rolle, und ich will es darum nicht weiter schildern. Es kommt
überhaupt nicht auf die Begleitumstä nde an. Ein Betriebsjubilä um; die örtliche
Presse; ich durch Zufall dorthin verschlagen, und nun, mitten im Vormittag, ein
Empfang der Gewerkschaftleitung für verdiente Arbeitsveteranen.
Als ich, zehn Minuten zu früh, dort eintraf, saßen die Alten schon alle bereit,
und sie saßen schon so seit einer Stunde, der Ankunft des letzten Morgenbusses.
Der quergestellte Prä sidiumstisch war noch leer. – Sie saßen um den Mitteltisch;
ihrer vierzig; ich kannte keinen; ich war ja erst den zweiten Tag hier. – August,
weiß, sehr warm, doch sie saßen im Sonntagsanzug da, tiefschwarz oder
bratenbraun, zugeknöpft, weiße halbsteifkragige Hemden, die roten Krawatten
mit kleinen Knoten, nur zwei oder drei in Bergsmannskluft. Vor jedem ein
Kaffeegedeck, vor jedem drei Nelken, vor jedem ein Schnapsglas, vor jedem in
vierfacher Postkartengröße das goldgerahmte Bild der Grube: der alte
Backsteinförderturm mit der alten, milchglasfenstrigen Kaue, die alte
Verwaltung, der alte Hof, die alte Halde, doch darüber ein Himmel, der sogar
hier, im alten Schwarzweiß, von einer gestellten Frische schien. – Keine Frauen.
– Kaffee wurde bereitgestellt; zwei sehr junge Dinger, noch oder schon zu müd,
um zu kichern, standen mit je zwei gerä umigen, ihnen soeben zugeschobenen
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5 FRANZ FÜ HMANN SPIEGELGESCHICHTE Daß ich diese kleine Geschichte so erlebte, wie ich sie erlebte, verdanke ich nur einem Spiegel, und wenn es aus ihr eine Lehre gä lte, dann vielleicht die, in Kulturrä umen keine Spiegel anzubringen und schon vorhandene zu verhä ngen. Jener, den ich meine, hing oder hä ngt vielleicht noch immer im Eß- und Kulturraum der thüringischen Steinsalzgrube zu T., oder genauer, er ist dort eingelassen, und ganz genau sind es ihrer zwei, in den Innenseiten der flachen Pfeiler, die sich die schmale Front nach vorn, gleich hinter der im Sommer stä ndig offengehaltenen Schwingtür erheben, so daß man vom unteren Ende des Mitteltisches in den gleich hinter der Tür rechtwinklig geknickten Gang bis zur Freitreppe nach außen blicken kann. Sie waren, die Spiegel, mit einer dicken Goldleiste umgeben, einer runden, zweifach kannelierten Ü berhöhung, aber das spielt jetzt keine Rolle, und ich will es darum nicht weiter schildern. Es kommt überhaupt nicht auf die Begleitumstä nde an. Ein Betriebsjubilä um; die örtliche Presse; ich durch Zufall dorthin verschlagen, und nun, mitten im Vormittag, ein Empfang der Gewerkschaftleitung für verdiente Arbeitsveteranen. Als ich, zehn Minuten zu früh, dort eintraf, saßen die Alten schon alle bereit, und sie saßen schon so seit einer Stunde, der Ankunft des letzten Morgenbusses. Der quergestellte Prä sidiumstisch war noch leer. – Sie saßen um den Mitteltisch; ihrer vierzig; ich kannte keinen; ich war ja erst den zweiten Tag hier. – August, weiß, sehr warm, doch sie saßen im Sonntagsanzug da, tiefschwarz oder bratenbraun, zugeknöpft, weiße halbsteifkragige Hemden, die roten Krawatten mit kleinen Knoten, nur zwei oder drei in Bergsmannskluft. Vor jedem ein Kaffeegedeck, vor jedem drei Nelken, vor jedem ein Schnapsglas, vor jedem in vierfacher Postkartengröße das goldgerahmte Bild der Grube: der alte Backsteinförderturm mit der alten, milchglasfenstrigen Kaue, die alte Verwaltung, der alte Hof, die alte Halde, doch darüber ein Himmel, der sogar hier, im alten Schwarzweiß, von einer gestellten Frische schien. – Keine Frauen. – Kaffee wurde bereitgestellt; zwei sehr junge Dinger, noch oder schon zu müd, um zu kichern, standen mit je zwei gerä umigen, ihnen soeben zugeschobenen PDF created with FinePrint pdfFactory Pro trial version http://www.fineprint.com
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