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Kürzlich hatte er Monika gebeten: “Sag mal etwas auf Französisch.”
– “Ja”, hatte die Mutter wiederholt, “sag mal etwas auf Französisch.”
Sie wusste aber nichts zu sagen.
Stenografieren kann sie auch, dachte er jetzt. “Für uns wäre das zu
schwer”, sagten sie oft zueinander.
Dann stellte die Mutter den Kaffee auf den Tisch. “Ich habe den Zug
gehört”, sagte sie.
Gabriele Wohmann
Denk immer an heut Nachmittag
“Eine halbe Stunde Fahrt auf der Hinterplattform”, sagte der Vater,
“wieder was Schönes zum Drandenken.”
Die Bahn ruckelte durch die dunklen feuchten Gässchen von Gratte.
Spätnachmittags, die Zeit, in der noch einmal alle Frauen ihre Ein-
kaufstaschen zu den Krämern trugen, in die Auslagen der engen Schau-
fenster starrten und wie im Gebet die Lippen bewegten, während sie die
Münzen in ihren klebrigen Portmonees zählten. Die letzten Minuten,
bevor die Kinder endgültig hinter den schartigen Hausmauern ver-
schwänden, ehe die Männer auf ihren Motorrädern in das Delta der
Gassen donnern würden.
Das Kind hielt die Messingstange vor der Fensterscheibe fest, aber
immer wieder rutschte die glatte Wolle seiner Handschuhe ab.
“Wie im Aussichtswagen. Lauter lustige Dinge”, sagte der Vater.
“Du kannst immer dran denken: wie lustig war's doch, als wir plötzlich
bei Wickler im Fenster die Mannequins entdeckten und als der Vater
sagte: schön, wir fahren eine Bahn später. Die hübschen Mannequins,
weißt du's noch?”
“Ja”, sagte das Kind. Sein Knie spürte den Koffer.
Die Bahn fuhr jetzt durch eine Straße mit eckigen unfrisierten Gärt-
chen und Gratte sah nur noch wie ein dicker dunkler Pickel aus. Dann
Bäume, die meisten noch kahl, eine Bank mit einem Mädchen, das die
Fingernägel reinigte, gekrümmte nackte Kiefernstämme in sandigen
Kahlschlägen.
“Der Wald von Laurich”, sagte der Vater, “er zieht sich bis zu dei-
nem Schulheim. Ihr werdet ihn wahrscheinlich oft zu sehen bekommen,
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Spiele im Wald veranstalten, Schnitzelversteck und was weiß ich, Räu-
berspiele, Waldlauf.”
Ein fetter Junge auf dem Fahrrad tauchte auf und hetzte in geringem
Abstand hinter der Bahn her. Sein schwitzendes bläuliches Gesicht war
vom Ehrgeiz verunstaltet, die farblose dicke Zunge lag schlaff auf der
Unterlippe. “Zunge rein”, rief der Vater und lachte. “Ob er's schafft?
Was meinst du?”
“Ich weiß nicht”, sagte das Kind.
“Ach, du Langweiler”, sagte der Vater.
Das Kind merkte mit einer geheimen Erregung, dass seine Augen
jetzt schon wieder nass wurden; das Fahrrad, der hechelnde schwere
Körper und das besessene Gesicht des Jungen schwammen hinter der
Scheibe.
Mit gekränkter Stimme sagte der Vater:
“Und vergiss nicht die Liebe deiner Mutter. Sie ist dein wertvollster
Besitz. Präge es dir ein. Vergiss nicht, wie lieb sie dich hatte, und hand-
le danach. Tu nur, was sie erfreut hätte. Ich hoffe sehr, du kannst das
behalten.”
Immer größer wurde der Abstand zwischen dem Fahrrad und der
Plattform, aber obwohl keine Aussicht mehr bestand in diesem Wett-
bewerb zu gewinnen gab der Junge nicht auf. “Siehst du”, sagte der Va-
ter, “der lässt nicht locker.”
Seine Stimme war stolz und fast zärtlich.
Das Kind sah in das fleckige Gesicht des Jungen aus dem die Zunge
sich plötzlich listig reckte, zugespitzt, blass zwischen den weißen ver-
zogenen Lippen.
Der Vater sagte:
“Siehst du, jetzt streckt er dir die Zunge raus! Vielleicht ist es sogar
ein Lauricher, ein zukünftiger Kamerad. Dann würdest du schon einen
kennen.”
Sie sahen von der Plattform aus die hellgrün gestrichenen Gebäude
vor dem Ulmenwäldchen, alles sah doch anders aus als auf den Bildern
des Prospekts. Sie gingen zwischen Ackern den großen Gebäuden ent-
gegen.
“Wie freundlich das daliegt”, sagte der Vater “Zu meiner Zeit waren
Schulen noch nicht so nett. Da, der Sportplatz! Ich hoffe sehr, du wirst
Kürzlich hatte er Monika gebeten: “Sag mal etwas auf Französisch.” Spiele im Wald veranstalten, Schnitzelversteck und was weiß ich, Räu- – “Ja”, hatte die Mutter wiederholt, “sag mal etwas auf Französisch.” berspiele, Waldlauf.” Sie wusste aber nichts zu sagen. Ein fetter Junge auf dem Fahrrad tauchte auf und hetzte in geringem Stenografieren kann sie auch, dachte er jetzt. “Für uns wäre das zu Abstand hinter der Bahn her. Sein schwitzendes bläuliches Gesicht war schwer”, sagten sie oft zueinander. vom Ehrgeiz verunstaltet, die farblose dicke Zunge lag schlaff auf der Dann stellte die Mutter den Kaffee auf den Tisch. “Ich habe den Zug Unterlippe. “Zunge rein”, rief der Vater und lachte. “Ob er's schafft? gehört”, sagte sie. Was meinst du?” “Ich weiß nicht”, sagte das Kind. “Ach, du Langweiler”, sagte der Vater. Gabriele Wohmann Das Kind merkte mit einer geheimen Erregung, dass seine Augen Denk immer an heut Nachmittag jetzt schon wieder nass wurden; das Fahrrad, der hechelnde schwere Körper und das besessene Gesicht des Jungen schwammen hinter der “Eine halbe Stunde Fahrt auf der Hinterplattform”, sagte der Vater, Scheibe. “wieder was Schönes zum Drandenken.” Mit gekränkter Stimme sagte der Vater: Die Bahn ruckelte durch die dunklen feuchten Gässchen von Gratte. “Und vergiss nicht die Liebe deiner Mutter. Sie ist dein wertvollster Spätnachmittags, die Zeit, in der noch einmal alle Frauen ihre Ein- Besitz. Präge es dir ein. Vergiss nicht, wie lieb sie dich hatte, und hand- kaufstaschen zu den Krämern trugen, in die Auslagen der engen Schau- le danach. Tu nur, was sie erfreut hätte. Ich hoffe sehr, du kannst das fenster starrten und wie im Gebet die Lippen bewegten, während sie die behalten.” Münzen in ihren klebrigen Portmonees zählten. Die letzten Minuten, Immer größer wurde der Abstand zwischen dem Fahrrad und der bevor die Kinder endgültig hinter den schartigen Hausmauern ver- Plattform, aber obwohl keine Aussicht mehr bestand in diesem Wett- schwänden, ehe die Männer auf ihren Motorrädern in das Delta der bewerb zu gewinnen gab der Junge nicht auf. “Siehst du”, sagte der Va- Gassen donnern würden. ter, “der lässt nicht locker.” Das Kind hielt die Messingstange vor der Fensterscheibe fest, aber Seine Stimme war stolz und fast zärtlich. immer wieder rutschte die glatte Wolle seiner Handschuhe ab. Das Kind sah in das fleckige Gesicht des Jungen aus dem die Zunge “Wie im Aussichtswagen. Lauter lustige Dinge”, sagte der Vater. sich plötzlich listig reckte, zugespitzt, blass zwischen den weißen ver- “Du kannst immer dran denken: wie lustig war's doch, als wir plötzlich zogenen Lippen. bei Wickler im Fenster die Mannequins entdeckten und als der Vater Der Vater sagte: sagte: schön, wir fahren eine Bahn später. Die hübschen Mannequins, “Siehst du, jetzt streckt er dir die Zunge raus! Vielleicht ist es sogar weißt du's noch?” ein Lauricher, ein zukünftiger Kamerad. Dann würdest du schon einen “Ja”, sagte das Kind. Sein Knie spürte den Koffer. kennen.” Die Bahn fuhr jetzt durch eine Straße mit eckigen unfrisierten Gärt- Sie sahen von der Plattform aus die hellgrün gestrichenen Gebäude chen und Gratte sah nur noch wie ein dicker dunkler Pickel aus. Dann vor dem Ulmenwäldchen, alles sah doch anders aus als auf den Bildern Bäume, die meisten noch kahl, eine Bank mit einem Mädchen, das die des Prospekts. Sie gingen zwischen Ackern den großen Gebäuden ent- Fingernägel reinigte, gekrümmte nackte Kiefernstämme in sandigen gegen. Kahlschlägen. “Wie freundlich das daliegt”, sagte der Vater “Zu meiner Zeit waren “Der Wald von Laurich”, sagte der Vater, “er zieht sich bis zu dei- Schulen noch nicht so nett. Da, der Sportplatz! Ich hoffe sehr, du wirst nem Schulheim. Ihr werdet ihn wahrscheinlich oft zu sehen bekommen, 67 68
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