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Tische ausgestreckt sah. Ich .zpg mich eilig zurück und stieß im Hi-
nausgehen auf ein paar Totengräber, die mich fragten, was ich suchte.
Ich zog den Degen, um sie mir vom Leibe zu halten, und kam nicht un-
bewegt von diesem seltsamen Anblick nach Hause. Ich trank sogleich
drei bis vier Gläser Wein, ein Mittel gegen die pestilenzialischen Ein-
flüsse, das man in Deutschland sehr bewährt hält, und trat, nachdem ich
ausgeruhet, den ändern Tag meine Reise nach Lothringen an.”
Alle Mühe, die ich mir nach meiner Rückkunft gegeben, irgend et-
was von dieser Frau zu erfahren, war vergeblich. Ich ging sogar nach
dem Laden der zwei Engel; allein die Mietleute wußten nicht, wer vor
ihnen darin gesessen hatte.
Dieses Abenteuer begegnete mir mit einer Person vom geringen
Stande, aber ich versichere, daß ohne den unangenehmen Ausgang es
eins der reizendsten gewesen wäre, deren ich mich erinnere, und daß ich
niemals ohne Sehnsucht an das schöne Weibchen habe denken können.
Goethe (l977), 162–164
Johann Wolfgang von Goethe
Die Novellensammlung “Unterhaltungen deutscher Ausgewan-
derten” wurde von J.W. von Goethe 1794–95 geschrieben. Sie ist 1795
in Schillers Zeitschrift “Die Hören” erschienen. Diese Dichtung besteht
aus einer Rahmenhandlung, in die sechs Geschichten eingebettet sind.
Die Rahmenhandlung spielt um 1793, wo die französische Armee bis
Frankfurt vorgedrungen war. Eine Baronesse C. flieht mit ihren Kin-
dern, Freunden und Hausangestellten vor dem Heer auf ein Landgut.
Um sich von den politischen Geschehnissen abzulenken, erzählen sie
sich Geschichten: Liebes- und Geistergeschichten sowie das berühmte
“Märchen”. Mit den Novellen ist eine didaktische Absicht verbunden:
Sie wollen belehren, nützlich sein und bilden.
Goethe knüpft hier an die Tradition der romanischen Novellistik an
(Boccaccio, Bassompierre, “Hundert neue Novellen”). Die Geschichten
werden knapp erzählt und enthalten einen Wendepunkt.
Jacob und Wilhelm Grimm
Dornröschen
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Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag
“ach, wenn wir doch ein Kind hätten!” und kriegten immer keins. Da
trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, daß ein Frosch aus
dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach “dein Wunsch wird er-
füllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt brin-
gen.” Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar
ein Mädchen, das war so schön, daß der König vor Freude sich nicht zu
lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er ladete nicht bloß seine
Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen
dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer
dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte,
von welchen sie essen sollten, so mußte eine von ihnen daheim bleiben.
Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, be-
schenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine
mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so
mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als elfe ihre Sprüche eben
getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür
rächen, daß sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder
nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme “die Königstochter soll sich in
ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.” Und
ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte sie sich um und verließ den
Saal. Alle waren erschrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren
Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufhe-
ben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte sie “es soll aber kein Tod
sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Kö-
nigstochter fällt.”
Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren
wollte, ließ den Befehl ausgehen, daß alle Spindeln im ganzen Kö-
nigreiche sollten verbrannt werden. An dem Mädchen aber wurden die
Gaben der weisen Frauen sämtlich erfüllt, denn es war so schön, sitt-
sam, freundlich und verständig, daß es jedermann, der es ansah, lieb
haben mußte. Es geschah, daß an dem Tage, wo es gerade fünfzehn Jahr
alt ward, der König und die Königin nicht zu Haus waren, und das
Mädchen ganz allein im Schloß zurückblieb. Da ging es allerorten her-
um, besah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich
auch an einen alten Turm. Es stieg die enge Wendeltreppe hinauf, und
Tische ausgestreckt sah. Ich .zpg mich eilig zurück und stieß im Hi- Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag nausgehen auf ein paar Totengräber, die mich fragten, was ich suchte. “ach, wenn wir doch ein Kind hätten!” und kriegten immer keins. Da Ich zog den Degen, um sie mir vom Leibe zu halten, und kam nicht un- trug sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, daß ein Frosch aus bewegt von diesem seltsamen Anblick nach Hause. Ich trank sogleich dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach “dein Wunsch wird er- drei bis vier Gläser Wein, ein Mittel gegen die pestilenzialischen Ein- füllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt brin- flüsse, das man in Deutschland sehr bewährt hält, und trat, nachdem ich gen.” Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ausgeruhet, den ändern Tag meine Reise nach Lothringen an.” ein Mädchen, das war so schön, daß der König vor Freude sich nicht zu Alle Mühe, die ich mir nach meiner Rückkunft gegeben, irgend et- lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er ladete nicht bloß seine was von dieser Frau zu erfahren, war vergeblich. Ich ging sogar nach Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dem Laden der zwei Engel; allein die Mietleute wußten nicht, wer vor dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer ihnen darin gesessen hatte. dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, Dieses Abenteuer begegnete mir mit einer Person vom geringen von welchen sie essen sollten, so mußte eine von ihnen daheim bleiben. Stande, aber ich versichere, daß ohne den unangenehmen Ausgang es Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, be- eins der reizendsten gewesen wäre, deren ich mich erinnere, und daß ich schenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine niemals ohne Sehnsucht an das schöne Weibchen habe denken können. mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so Goethe (l977), 162–164 mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als elfe ihre Sprüche eben getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür Johann Wolfgang von Goethe rächen, daß sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüßen oder Die Novellensammlung “Unterhaltungen deutscher Ausgewan- nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme “die Königstochter soll sich in derten” wurde von J.W. von Goethe 1794–95 geschrieben. Sie ist 1795 ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.” Und in Schillers Zeitschrift “Die Hören” erschienen. Diese Dichtung besteht ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte sie sich um und verließ den aus einer Rahmenhandlung, in die sechs Geschichten eingebettet sind. Saal. Alle waren erschrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren Die Rahmenhandlung spielt um 1793, wo die französische Armee bis Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufhe- Frankfurt vorgedrungen war. Eine Baronesse C. flieht mit ihren Kin- ben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte sie “es soll aber kein Tod dern, Freunden und Hausangestellten vor dem Heer auf ein Landgut. sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Kö- Um sich von den politischen Geschehnissen abzulenken, erzählen sie nigstochter fällt.” sich Geschichten: Liebes- und Geistergeschichten sowie das berühmte Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren “Märchen”. Mit den Novellen ist eine didaktische Absicht verbunden: wollte, ließ den Befehl ausgehen, daß alle Spindeln im ganzen Kö- Sie wollen belehren, nützlich sein und bilden. nigreiche sollten verbrannt werden. An dem Mädchen aber wurden die Goethe knüpft hier an die Tradition der romanischen Novellistik an Gaben der weisen Frauen sämtlich erfüllt, denn es war so schön, sitt- (Boccaccio, Bassompierre, “Hundert neue Novellen”). Die Geschichten sam, freundlich und verständig, daß es jedermann, der es ansah, lieb werden knapp erzählt und enthalten einen Wendepunkt. haben mußte. Es geschah, daß an dem Tage, wo es gerade fünfzehn Jahr alt ward, der König und die Königin nicht zu Haus waren, und das Mädchen ganz allein im Schloß zurückblieb. Da ging es allerorten her- Jacob und Wilhelm Grimm um, besah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich Dornröschen auch an einen alten Turm. Es stieg die enge Wendeltreppe hinauf, und 109 110
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