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TEXT II
Das Bismarckreich
Bismarck arbeitete auf die Vollendung der deutschen Einheit im kleindeutschen
Sinne hin. Den Widerstand Frankreichs brach er im Deutsch-Französischen
Krieg (1870-1871), der durch einen diplomatischen Konflikt um die Thronfolge
in Spanien ausgelöst wurde. Frankreich musste Elsaß-Lothringen abtreten und
eine hohe Reparationssumme zahlen. In der patriotischen Begeisterung des
Krieges schlossen sich die süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund
zum Deutschen Reich zusammen; in Versailles wurde am 18. Januar 1871 Kö-
nig Wilhelm I. von Preußen zum Deutschen Kaiser ausgerufen.
Das Übergewicht Preußens war erdrückend; vielen erschien das neue Reich als
ein «Groß-Preußen». Der Reichstag wurde nach allgemeinem und gleichem
Wahlrecht gewählt.
Obgleich der Reichskanzler nur dem Kaiser und nicht dem Parlament verant-
wortlich war, musste er sich doch um eine Mehrheit für seine Politik im
Reichstag bemühen.
Das Wahlrecht für die Volksvertretungen der einzelnen Länder war noch unein-
heitlich. Die Entwicklung Deutschlands zu einem modernen Industrieland stärk-
te den Einfluß des wirtschaftlich erfolgreichen Bürgertums. Trotzdem blieb der
Adel und vor allem das überwiegend aus Adligen bestehende Offizierskorps in
der Gesellschaft tonangebend.
Bismarck regierte neunzehn Jahre lang als Reichskanzler. Durch eine konsequente
Friedens- und Bündnispolitik suchte er dem Reich eine gesicherte Stellung in dem
neuen europäischen Kräfteverhältnis zu schaffen. Im Gegensatz zu dieser weitsich-
tigen Außenpolitik stand seine Innenpolitik. Erbittert, aber letztlich erfolglos be-
kämpfte er den linken Flügel des liberalen Bürgertums, den politischen Katholi-
zismus und besonders die organisierte Arbeiterbewegung. Die mächtig anwachsen-
de Arbeiterschaft wurde so dem Staat entfremdet. Daran änderte auch die Tatsache
nicht, dass Bismarck eine umfassende Sozialversicherung einführte, die damals in
der Welt einzigartig dastand. Bismarck fiel schließlich dem eigenen System zum
Opfer, als er von dem jungen Kaiser Wilhelm II. entlassen wurde.
Wilhelm II. wollte selbst regieren, doch fehlten ihm dazu Kenntnisse und Ste-
tigkeit. Unter ihm erfolgte der Übergang zur «Weltpolitik»; Deutschland suchte
den Vorsprung der imperialistischen Großmächte aufzuholen und geriet dabei in
schwerwiegende Interessenkonflikte besonders mit England und Russland, und
letztlich in die Isolierung.
Innenpolitisch schlug Wilhelm II. bald einen reaktionären Kurs ein, nachdem
sein Versuch, die Arbeiterschaft für ein «soziales Kaisertum» zu gewinnen,
nicht zu dem erhofften raschen Erfolg geführt hatte. (2220)
Пояснения к тексту
1. Die Vollendung – завершение.
2. Die Thronfolge – престолонаследие.
TEXT II Das Bismarckreich Bismarck arbeitete auf die Vollendung der deutschen Einheit im kleindeutschen Sinne hin. Den Widerstand Frankreichs brach er im Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871), der durch einen diplomatischen Konflikt um die Thronfolge in Spanien ausgelöst wurde. Frankreich musste Elsaß-Lothringen abtreten und eine hohe Reparationssumme zahlen. In der patriotischen Begeisterung des Krieges schlossen sich die süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund zum Deutschen Reich zusammen; in Versailles wurde am 18. Januar 1871 Kö- nig Wilhelm I. von Preußen zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Das Übergewicht Preußens war erdrückend; vielen erschien das neue Reich als ein «Groß-Preußen». Der Reichstag wurde nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht gewählt. Obgleich der Reichskanzler nur dem Kaiser und nicht dem Parlament verant- wortlich war, musste er sich doch um eine Mehrheit für seine Politik im Reichstag bemühen. Das Wahlrecht für die Volksvertretungen der einzelnen Länder war noch unein- heitlich. Die Entwicklung Deutschlands zu einem modernen Industrieland stärk- te den Einfluß des wirtschaftlich erfolgreichen Bürgertums. Trotzdem blieb der Adel und vor allem das überwiegend aus Adligen bestehende Offizierskorps in der Gesellschaft tonangebend. Bismarck regierte neunzehn Jahre lang als Reichskanzler. Durch eine konsequente Friedens- und Bündnispolitik suchte er dem Reich eine gesicherte Stellung in dem neuen europäischen Kräfteverhältnis zu schaffen. Im Gegensatz zu dieser weitsich- tigen Außenpolitik stand seine Innenpolitik. Erbittert, aber letztlich erfolglos be- kämpfte er den linken Flügel des liberalen Bürgertums, den politischen Katholi- zismus und besonders die organisierte Arbeiterbewegung. Die mächtig anwachsen- de Arbeiterschaft wurde so dem Staat entfremdet. Daran änderte auch die Tatsache nicht, dass Bismarck eine umfassende Sozialversicherung einführte, die damals in der Welt einzigartig dastand. Bismarck fiel schließlich dem eigenen System zum Opfer, als er von dem jungen Kaiser Wilhelm II. entlassen wurde. Wilhelm II. wollte selbst regieren, doch fehlten ihm dazu Kenntnisse und Ste- tigkeit. Unter ihm erfolgte der Übergang zur «Weltpolitik»; Deutschland suchte den Vorsprung der imperialistischen Großmächte aufzuholen und geriet dabei in schwerwiegende Interessenkonflikte besonders mit England und Russland, und letztlich in die Isolierung. Innenpolitisch schlug Wilhelm II. bald einen reaktionären Kurs ein, nachdem sein Versuch, die Arbeiterschaft für ein «soziales Kaisertum» zu gewinnen, nicht zu dem erhofften raschen Erfolg geführt hatte. (2220) Пояснения к тексту 1. Die Vollendung – завершение. 2. Die Thronfolge – престолонаследие. 49
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