Германия: дети в семье и на улице (по материалам современной немецкой прессы). Коноваленко И.В - 2 стр.

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Straßenleben mit Zigarette und Hund
Hallenser Sozialarbeiter betreuen in einem Slreetworkprojekt
Lisa sagt, daß sie 14 ist. Kumpels haben ihr erzählt, daß man
bei S.C.H.I.R.M. Projekt e. V. hinterm Hallenser Hauptbahnhof etwas
zu essen bekommt. Sie hat den warmen Curryreis mit Radieschen-Salat
verschlungen, geduscht und sich die Haare gewaschen. Nun fühlt sie sich
«voll gut». Eine Zigarette, das wäre es jetzt. Aber Lisa hat kein Geld
und ihre Freundin Bianca auch nicht. Jemand gab ihnen den Tip, daß
man vor dem Kaufhaus gut schnorren kann. Wo das ist, wollen sie
wissen, denn sie kommen aus Freiburg. Süddeuschland.
350 umherstreunende junge Menschen stecken das Jahr über die
Beine unter den Tisch des Streetwork-Projekts. Geschlagene,
Mißbrauchte, Ausreißer, Abenteurer, Drogensüchtige, Anschaffende,
Linke, Rechte, Angeber, Straftäter. Frank Jankowskli, der dieses Haus
vor einigen Jahren mitbegründete, nennt sie «Klientel» oder «Kids».
Einige werden von den Eltern oder dem Staatsanwalt gesucht, viele
erhlen abenteuerliche Storys, die man glauben kann, aber nicht muß.
Jankowski beobachtet, daß es in der Szene immer brutaler wird, sich
das Durchschnittsalter der Straßenkinder um ein Jahr verjüngte, die
Betroffenen mehr harte Drogen nehmen, und die Zahl der Mädchen un-
ter ihnen steigt. Für ihn war 1997 das «Heroinjahr».
Bernd Kukielka von der Drogenberatungsstelle, die im selben
Haus sitzt, bestätigt den beängstigenden Trend. Jeder könne problem-
los an harte illegale Drogen kommen, ein Gramm Heroin sei für 60
Mark zu haben. Das reicht vielleicht für einen halben Tag. Kukielka
meint, daß auch die Abhängigen immer jünger werden. «Es wird nicht
besser», formuliert er zuckhaltend. In Halle werde zwar offen ge-
dealt, eine offene Szene verelendeter Drogenabhängiger gebe es
hingegen nicht.
Dies sei seine persönliche Horrorvision. Er und seine Kollegen
kommen nur mühsam an die Süchtigen heran. So versuche man, ihnen
wenigstens dabei zu helfen, guten von schlechtem Stoff zu unterschei-
den oder sich vor der Ansteckung mit Hepatitis durch verseuchte Spritzen
zu schützen. Es sei ein großer Erfolg, entscheide sich jemand für eine
Therapie.
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Gegen Mittag sind am großen runden Holztisch im Erdgesch
der Projektvilla die meisten Plätze besetzt. Ein Mädchen hat ihr zweijäh-
riges Kind mitgebracht; bevor beide essen, hat die Mutter die Waschma-
schine gefüllt - außen ihre Nummer aufgeklebt. Zahlen ersetzen hier
Identität, die viele nicht preisgeben wollen. Aber ein bißchen Statistik
muß auch sein, denn in eines der größten Straßenkinder-Projekte
Deutschlands fließen Gelder aus dem Bundesministerium für Familie,
der Stiftung Deutsche Jugendmarke, der Aktion Sorgenkind,
aus dem Landesjugendamt, der Lotto GmbH, der Thomas-Gottschalk-
Stiftung. Sechs Sozialarbeiter, zwei Kreativgestalter, Geschäfts-
führer, Hausmeister, Sportlehrer, Krankenschwester werden davon be-
zahlt, viele auf ABM-Basis. Auch die Stadtverwaltung Halle gibt Geld
dazu. Thea Ilse, Kinder- und Jugendbeauftragte von Halle, ist froh,
daß die Straßenkinder so gut betreut werden können: «Manche ler-
nen sogar noch, wenigstens nett zu betteln».
Sozialarbeiterin Michaela Hanke bespricht mit der jungen Mutter
beim Essen einige Ämtergänge. Die sind neben dem Ausfüllen von For-
mularen oder der Geduld im Warteraum oft die allergrößten Hürden.
Manchmal begleitet Michaela Hanke die eine oder den anderen. Natür-
lich nur,wenn es gewünscht ist. In dieser Branche ist es oberstes Gebot,
sich nicht aufzudrängen, denn das Mißtrauen der Kids ist groß. Am Mit-
tagstisch geht es unkonventionell zu. Es wird gleichzeitig geraucht, ge-
gessen, gemalt und erzählt. Doch der Eindruck von Beiläufigkeit
täuscht. Für Nicole, Christoph, Lisa oder all die Namenlosen ist das Haus
in der Rudolf-Ernst-Weise-Straße momentan vielleicht die einzige Kon-
stante ihres Lebens. Sicherheit, Schutz und Akzeptanz für ein paar Stun-
den. Wenig Fragen, keine Anweisungen, ganz zu schweigen von
Schlägen, die für viele in ihrem Elternhaus zum Alltag gehörten.
Keine Vorwürfe wegen der Hunde, für die im Hof vier Zwinger ge-
baut wurden, denn sie dürfen nicht mit ins Haus. Die Hunde sind ein
eigenes Kapitel. So verlaust, so voller Schmutz und Flöhe, so treu sind
sie ihren Besitzern. Sie geben, was Men schen verweigern und sind des-
halb so wichtig.
Als Lisa von zu Hause erzählt, wird ihr Gesicht hart, die
Wangenknochen treten hervor, sie schaut in eine imaginäre Ferne,
und die Worte kommen abgehackt und laut. Ihrev Mutter leitet eine Putz-
             Straßenleben mit Zigarette und Hund                                  Gegen Mittag sind am großen runden Holztisch im Erdgeschoß
   Hallenser Sozialarbeiter betreuen in einem Slreetworkprojekt            der Projektvilla die meisten Plätze besetzt. Ein Mädchen hat ihr zweijäh-
                                                                           riges Kind mitgebracht; bevor beide essen, hat die Mutter die Waschma-
       Lisa sagt, daß sie 14 ist. Kumpels haben ihr erzählt, daß man       schine gefüllt - außen ihre Nummer aufgeklebt. Zahlen ersetzen hier
bei S.C.H.I.R.M. Projekt e. V. hinterm Hallenser Hauptbahnhof etwas        Identität, die viele nicht preisgeben wollen. Aber ein bißchen Statistik
zu essen bekommt. Sie hat den warmen Curryreis mit Radieschen-Salat        muß auch sein, denn in eines der größten Straßenkinder-Projekte
verschlungen, geduscht und sich die Haare gewaschen. Nun fühlt sie sich    Deutschlands fließen Gelder aus dem Bundesministerium für Familie,
«voll gut». Eine Zigarette, das wäre es jetzt. Aber Lisa hat kein Geld     der Stiftung Deutsche Jugendmarke, der Aktion Sorgenkind,
und ihre Freundin Bianca auch nicht. Jemand gab ihnen den Tip, daß         aus dem Landesjugendamt, der Lotto GmbH, der Thomas-Gottschalk-
man vor dem Kaufhaus gut schnorren kann. Wo das ist, wollen sie            Stiftung. Sechs Sozialarbeiter, zwei Kreativgestalter, Geschäfts-
wissen, denn sie kommen aus Freiburg. Süddeuschland.                       führer, Hausmeister, Sportlehrer, Krankenschwester werden davon be-
       350 umherstreunende junge Menschen stecken das Jahr über die        zahlt, viele auf ABM-Basis. Auch die Stadtverwaltung Halle gibt Geld
Beine unter den Tisch des Streetwork-Projekts. Geschlagene,                dazu. Thea Ilse, Kinder- und Jugendbeauftragte von Halle, ist froh,
Mißbrauchte, Ausreißer, Abenteurer, Drogensüchtige, Anschaffende,          daß die Straßenkinder so gut betreut werden können: «Manche ler-
Linke, Rechte, Angeber, Straftäter. Frank Jankowskli, der dieses Haus      nen sogar noch, wenigstens nett zu betteln».
vor einigen Jahren mitbegründete, nennt sie «Klientel» oder «Kids».               Sozialarbeiterin Michaela Hanke bespricht mit der jungen Mutter
Einige werden von den Eltern oder dem Staatsanwalt gesucht, viele          beim Essen einige Ämtergänge. Die sind neben dem Ausfüllen von For-
erzählen abenteuerliche Storys, die man glauben kann, aber nicht muß.      mularen oder der Geduld im Warteraum oft die allergrößten Hürden.
Jankowski beobachtet, daß es in der Szene immer brutaler wird, sich        Manchmal begleitet Michaela Hanke die eine oder den anderen. Natür-
das Durchschnittsalter der Straßenkinder um ein Jahr verjüngte, die        lich nur,wenn es gewünscht ist. In dieser Branche ist es oberstes Gebot,
Betroffenen mehr harte Drogen nehmen, und die Zahl der Mädchen un-         sich nicht aufzudrängen, denn das Mißtrauen der Kids ist groß. Am Mit-
ter ihnen steigt. Für ihn war 1997 das «Heroinjahr».                       tagstisch geht es unkonventionell zu. Es wird gleichzeitig geraucht, ge-
       Bernd Kukielka von der Drogenberatungsstelle, die im selben         gessen, gemalt und erzählt. Doch der Eindruck von Beiläufigkeit
Haus sitzt, bestätigt den beängstigenden Trend. Jeder könne problem-       täuscht. Für Nicole, Christoph, Lisa oder all die Namenlosen ist das Haus
los an harte illegale Drogen kommen, ein Gramm Heroin sei für 60           in der Rudolf-Ernst-Weise-Straße momentan vielleicht die einzige Kon-
Mark zu haben. Das reicht vielleicht für einen halben Tag. Kukielka        stante ihres Lebens. Sicherheit, Schutz und Akzeptanz für ein paar Stun-
meint, daß auch die Abhängigen immer jünger werden. «Es wird nicht         den. Wenig Fragen, keine Anweisungen, ganz zu schweigen von
besser», formuliert er zurückhaltend. In Halle werde zwar offen ge-        Schlägen, die für viele in ihrem Elternhaus zum Alltag gehörten.
dealt, eine offene Szene verelendeter Drogenabhängiger gebe es             Keine Vorwürfe wegen der Hunde, für die im Hof vier Zwinger ge-
hingegen nicht.                                                            baut wurden, denn sie dürfen nicht mit ins Haus. Die Hunde sind ein
       Dies sei seine persönliche Horrorvision. Er und seine Kollegen      eigenes Kapitel. So verlaust, so voller Schmutz und Flöhe, so treu sind
kommen nur mühsam an die Süchtigen heran. So versuche man, ihnen           sie ihren Besitzern. Sie geben, was Men schen verweigern und sind des-
wenigstens dabei zu helfen, guten von schlechtem Stoff zu unterschei-      halb so wichtig.
den oder sich vor der Ansteckung mit Hepatitis durch verseuchte Spritzen          Als Lisa von zu Hause erzählt, wird ihr Gesicht hart, die
zu schützen. Es sei ein großer Erfolg, entscheide sich jemand für eine     Wangenknochen treten hervor, sie schaut in eine imaginäre Ferne,
Therapie.                                                                  und die Worte kommen abgehackt und laut. Ihrev Mutter leitet eine Putz-


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