Методические указания для чтения и анализа художественных произведений современных немецкоязычных авторов по теме "Женщины в современном обществе" для студентов 4 курса отделения немецкого языка факультета филологии и журналистики - 19 стр.

UptoLike

Рубрика: 

19
das fragte ich nicht. Ich müsse ihm helfen, diesen Mann unschädlich zu machen, um
jeden Preis. Ich sah, wie hoch er den Preis ansetzte, zu hoch für uns alle. Mir blieb
nichts übrig als Verrat.
Blieb mir nichts übrig? Wie doch die Jahre die Gründe auswaschen, derer ich mir
so sicher war. Wie ich immer wieder die Abfolge der Ereignisse aufrief, die ich in
meinem Gedächtnis befestigt habe als Schutzwall gegen die Zweifel, die jetzt, so spät,
diesen Wall überschwemmen. Ein Wort hat ihnen die Bresche geschlagen:
Vergeblichkeit. Seit ich die Knöchelchen dieses Kindes betastet habe, erinnern sich
meine Hände an jene anderen Knöchelchen, die ich dem König, der uns verfolgte, von
meinem Fluchtschiff aus zugeworfen habe, laut heulend, das weiß ich noch. Da ließ er
von uns ab. Seitdem fürchteten mich die Argonauten. Auch Jason, den ich mit anderen
Augen sah, seit ich ihn als Schiffsführer kennen lernte. Er war wie ein Blinder durch
Kolchis gelaufen, hatte nichts verstanden, sich ganz in meine Hände gegeben, aber als
er, das Vlies um die Schultern gelegt, sein Schiff betrat, wurde er ein anderer. Alles
Täppische fiel von ihm ab, er straffte sich, seine Sorge um das Schicksal seiner
Mannschaft hatte nichts Unmännliches, sein umsichtiges Verhalten bei der Einschiffung
der Kolcher machte mir Eindruck. Da hörte ich zum erstenmal das Wort Flüchtlinge.
Für die Argonauten waren wir Flüchtlinge, es gab mir einen Stich. Manche Emp-
findlichkeiten habe ich mir dann abgewöhnt.
Aber darum geht es jetzt nicht. Ich glaube, es ist meine Schwäche, Mutter, es ist
die Augenblicksschwäche, dass ich diesen Gedanken heute ausgeliefert bin. Als du am
Ufer standest, um mich zu verabschieden, gabst du mir zu verstehen, du billigtest, was
ich tat. Ich hatte keine Wahl. Zu reden war nicht viel. Werde nicht wie ich, sagtest du,
dann zogst du mich an dich mit einer Kraft, die ich lange nicht mehr bei dir gespürt
hatte, wendetest dich ab und gingst die Uferböschung hinauf in Richtung auf den Palast,
in dem der König und seine Dienstmänner tief und fest schliefen, nach dem
Abschiedstrunk, den ich ihnen gemischt hatte und mit dem sie dem scheidenden Jason
Bescheid getrunken hatten. Der musste wach und nüchtern bleiben, um den Weg zum
Hain des Ares wieder zu finden, den ich ihm bei Tage gezeigt hatte, um sich
vorbeizuschleichen an den Wächtern, die, dafür hatte ich gesorgt, ebenfalls schliefen,
und um endlich mit meiner Hilfe jene Tat zu vollbringen, deretwegen er nach Kolchis,
an den östlichen Rand seiner Welt, gekommen war: von der Eiche des Kriegsgottes das
Widderfell herunterzuholen, das sein Onkel Phrixos vor vielen Jahren auf der Flucht
hierhergebracht hatte und das nun von den Seinen zurückgefordert wurde. Eine Art
Mutprobe, so sah ich es damals, nicht eingeweiht in die verzwickte Familiengeschichte
des armen Jason. Was war mir dieses Vlies, das erst später, als sie es genauer betrachtet
hatten, von den Männern auf der »Argo« »Goldenes Vlies« genannt wurde: Dieses Fell
war, wie die Felle vieler Widder in Kolchis, zur Goldgewinnung benutzt worden, indem
man es im Frühjahr in eines der zu Tal stürzenden Gebirgswässer gelegt hatte, damit es
den Goldstaub auffinge, der aus dem Berginnern herausgeschwemmt wurde.
Genauestens haben die Argonauten mich nach dieser Methode befragt, die mir ganz
gewöhnlich vorkam, sie aber in helle Aufregung versetzte: In Kolchis gab es Gold.