Методические указания для чтения и анализа художественных произведений современных немецкоязычных авторов по теме "Женщины в современном обществе" для студентов 4 курса отделения немецкого языка факультета филологии и журналистики - 23 стр.

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»Ich bin Ärztin, weiter nichts!« sagte sie knapp.
»Das „weiter nichts“ möchte ich stark anzweifeln.«
»Wenn ich Sie nicht kennen würde, Bernhard, müsste ich jetzt wütend werden.
Aber Ironie ist Ihr Salz des Lebens ... Wann kommen die Söhne Siziliens?«
»In zwei Stunden. Erst rollt der ganze Pipapo ab ... Begrüßung durch die
Werkleitung, Ansprache des Chefs, Einweisung in die Quartiere, Begrüßungskaffee mit
Kuchen, Händeschütteln, Versicherungen von Freundschaft und Kameradschaft... Es
wird ein kräftiges Sandstreuen in die schwarzen Augen werden.«
Dr. Waltraud setzte sich an ihren Schreibtisch und klopfte mit einem langen
Bleistift auf die Platte. »Was haben Sie eigentlich gegen die Italiener?«
»Nichts, schöne Kollegin.«
»Wohin ich in den vergangenen Tagen hörte, überall das gleiche: Das kann ja
heiter werden! Na, laß die mal kommen! Denen werden wir mal zeigen, was arbeiten
heißt... Und so ging es weiter in den gehässigsten Tönen. Warum eigentlich? Diese
Männer kommen 1500 km weit quer durch Europa zu uns gefahren, um unsere Kohlen
aus der Erde zu brechen und selbst einmal das erträumte Glück zu genießen, satt zu sein
und Geld in der Hand zu fühlen. Zu Hause, in ihren Steinhütten, haben sie Frauen und
Kinder, Mütter und Väter, die vor Glück weinten, als ihre Männer und Söhne
hinausziehen konnten in das Goldland Germania.«
»Himmel! Die kleine Waltraud entwickelt dichterische Talente. Fängt der Zauber
des Südens schon an? Kaum erblickt man eine schwarze Locke, schmilzt das nordische
Eis ...«
»Sie reden Quatsch!« sagte Dr. Waltraud Born böse. »Ich hasse diese deutsche
Überheblichkeit! Sie hat uns schon zwei Kriege eingebracht.«
Dr. Pillnitz schwieg. Er trat wieder an das Fenster. Im Hof standen die Italiener vor
den roten Sonderbussen, die sie vom Bahnhof Gelsenkirchen nach Buschhausen
gebracht hatten. Der Personalchef, der Obersteiger, ein Herr von der Verwaltung und
der neu ernannte Lagerleiter des Italienerlagers kamen aus dem Direktionsgebäude. Am
Eingang stand Dr. Fritz Sassen, der Sohn des Zechendirektors Dr. Ludwig Sassen, und
unterhielt sich mit dem Transportleiter.
»Jetzt geht's los, Waltraud!« sagte Dr. Pillnitz laut. »Zuerst spricht der
Personalchef. Soll ich Ihnen sagen, wie er anfängt? „Liebe neue Mitarbeiter, im Namen
der Zeche Emma II ...“ Psst... hören Sie!« Er öffnete das Fenster und legte den Finger
auf den Mund.
Vom Hof drang Stimmengewirr ins Zimmer, das langsam verebbte. Dann wurde
eine helle Stimme laut.
»Liebe, neue Mitarbeiter. Im Namen der Zeche Emma II heiße ich Sie auf das
herzlichste willkommen ...«
»Sehen Sie!« Dr. Pillnitz lächelte breit. »Man kommt als Personalchef mit
vierzehn Floskeln und Stammredensarten blendend aus. Er wird jetzt gleich weiterreden
von Arbeitsgemeinschaft, Völkerfreundschaft, gemeinsamem Ziel, Wohlstand und
Familienglück ... aber er wird tunlichst verschweigen, dass ab morgen acht Stunden
Knochenarbeit auf die Söhne des Südens warten, 400 Meter tief unter der Erde.«