Лексикология немецкого языка. Солодилова И.А. - 79 стр.

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Nun ist es gerade für sprachdidaktische Texte (für den Muttersprachunterricht)
beinahe charakteristisch, daß die synchrone und die diachrone Perspektive nicht
auseinandergehalten werden.
An phraseodidaktischen Texten für den Muttersprachunterricht zeigt P. Kühn
(1993), daß Redensarten vielfach vor allem unter ihrem kulturhistorischen Aspekt,
weniger unter dem der aktuellen Verwendung vermittelt werden. Diese Praxis hat
eine lange Tradition. Im Gefolge Jacob Grimms möchte bereits R. Hildebrand (1867,
4. Aufl. 1917) den Schülern im muttersprachlichen Unterricht eine „Naturgeschichte"
der Redensarten vermitteln (Kühn 1993, 71). Denn der Vorrat an Redensarten „bildet
den eigentlichen Geist, Gehalt und Reichtum, das eigentliche innerste Leben der
Sprache. Ist daran nichts zu lernen und lehren? Wichtiges und Schönes in
unerschöpflicher Fülle!" (bei Kühn 1993, 70) Gegen die Vermittlung
kulturhistorischer Hintergründe wäre an und für sich nichts einzuwenden, wenn
dadurch nicht die gegenwartsspezifischen Aspekte der Phraseologie in den
Hintergrund träten und der aktuelle Gebrauch in u. U. verzerrter Form wiedergegeben
würde. Ein in dieser Hinsicht ebenso typischer wie irreführender Versuch,
Redensarten zu vermitteln, besteht darin, sie in ihren ursprünglichen (oder auch
vermeintlichen) wörtlichen Kontext einzubetten und daraus „verständlich zu
machen":
Im Jahre 1605 kam ein wandernder Handwerksburschc in einen kleinen Ort.
(...) Er sah den Schuster, der alles über einen Leisten schlug, der Schmied
hatte mehrere Eisen im Feuer, und ein Pferd stand schon gut beschlagen
neben ihm. Weil der Hamlwerkslwschc seine Weste zerrissen hatte, ging er
zum Schneider. Der Iadelte schnell den Faden ein und flickte ihm einiges am
Zeug. (...)" usw.
Solehe Spielereien mit der Relation von phraseologischer, und wörtlicher
Bedeutung haben z. B. in der Werbung ihren guten - weil;witzigen - Sinn, in einem
didaktischen Text aber wären sie nur dann am Platz, wenn gleichzeitig die
Diskrepanz zwischen heutiger phraseologischer Bedeiitung'imd der historischen
Motivationsbasis gezeigt würde. (Damit sei nicht gesagt, daß didaktische Texte nicht
auch witzig sein dürfen.)
Annelies Häcki Buhofer (1987) analysiert eine für diese Tendenz typische
Serie von Kinder-Radiosendungen des Schweizer Radios, in denen Redensarten in
ihrer Geschichte und ihrer heutigen Verwendung vermittelt und verständlich gemacht
werden sollen. Z. B. heißt es da zum Phraseologimus jmdm. fällt es wie Schuppen
von den Augen, im Anschluß an eine Gesprächsszene, in der der Ausdruck
prototypisch eingebettet ist:
„Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen", hat die Frau in der Szene
gesagt, was meint sie damit, gibt es das überhaupt. Schuppen vor der Augen?
[Als Antwort auf die Frage wird dann schließlich auf die Bibel verveisen:]
In der Bibel haben wir eine Geschichte, die uns zeigt, wie d;ls genieint ist,
hört mal zu (...) (Häcki Buhofer 1987. 68 f.)
Die biblische Erzählung (Apostelgeschichte 9. 19) führt nun in verschiedener
Hinsicht geradezu in die Irre, was den heutigen Sprachgebrauch angeht: Saul
erblindet tatsächlich; die Redensart jedoch wird gerade nicht auf einer
       Nun ist es gerade für sprachdidaktische Texte (für den Muttersprachunterricht)
beinahe charakteristisch, daß die synchrone und die diachrone Perspektive nicht
auseinandergehalten werden.
       An phraseodidaktischen Texten für den Muttersprachunterricht zeigt P. Kühn
(1993), daß Redensarten vielfach vor allem unter ihrem kulturhistorischen Aspekt,
weniger unter dem der aktuellen Verwendung vermittelt werden. Diese Praxis hat
eine lange Tradition. Im Gefolge Jacob Grimms möchte bereits R. Hildebrand (1867,
4. Aufl. 1917) den Schülern im muttersprachlichen Unterricht eine „Naturgeschichte"
der Redensarten vermitteln (Kühn 1993, 71). Denn der Vorrat an Redensarten „bildet
den eigentlichen Geist, Gehalt und Reichtum, das eigentliche innerste Leben der
Sprache. Ist daran nichts zu lernen und lehren? Wichtiges und Schönes in
unerschöpflicher Fülle!" (bei Kühn 1993, 70) Gegen die Vermittlung
kulturhistorischer Hintergründe wäre an und für sich nichts einzuwenden, wenn
dadurch nicht die gegenwartsspezifischen Aspekte der Phraseologie in den
Hintergrund träten und der aktuelle Gebrauch in u. U. verzerrter Form wiedergegeben
würde. Ein in dieser Hinsicht ebenso typischer wie irreführender Versuch,
Redensarten zu vermitteln, besteht darin, sie in ihren ursprünglichen (oder auch
vermeintlichen) wörtlichen Kontext einzubetten und daraus „verständlich zu
machen":
         Im Jahre 1605 kam ein wandernder Handwerksburschc in einen kleinen Ort.
         (...) Er sah den Schuster, der alles über einen Leisten schlug, der Schmied
         hatte mehrere Eisen im Feuer, und ein Pferd stand schon gut beschlagen
         neben ihm. Weil der Hamlwerkslwschc seine Weste zerrissen hatte, ging er
         zum Schneider. Der Iadelte schnell den Faden ein und flickte ihm einiges am
         Zeug. (...)" usw.
       Solehe Spielereien mit der Relation von phraseologischer, und wörtlicher
Bedeutung haben z. B. in der Werbung ihren guten - weil;witzigen - Sinn, in einem
didaktischen Text aber wären sie nur dann am Platz, wenn gleichzeitig die
Diskrepanz zwischen heutiger phraseologischer Bedeiitung'imd der historischen
Motivationsbasis gezeigt würde. (Damit sei nicht gesagt, daß didaktische Texte nicht
auch witzig sein dürfen.)
       Annelies Häcki Buhofer (1987) analysiert eine für diese Tendenz typische
Serie von Kinder-Radiosendungen des Schweizer Radios, in denen Redensarten in
ihrer Geschichte und ihrer heutigen Verwendung vermittelt und verständlich gemacht
werden sollen. Z. B. heißt es da zum Phraseologimus jmdm. fällt es wie Schuppen
von den Augen, im Anschluß an eine Gesprächsszene, in der der Ausdruck
prototypisch eingebettet ist:
        „Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen", hat die Frau in der Szene
        gesagt, was meint sie damit, gibt es das überhaupt. Schuppen vor der Augen?
        [Als Antwort auf die Frage wird dann schließlich auf die Bibel verveisen:]
        In der Bibel haben wir eine Geschichte, die uns zeigt, wie d;ls genieint ist,
        hört mal zu (...) (Häcki Buhofer 1987. 68 f.)
       Die biblische Erzählung (Apostelgeschichte 9. 19) führt nun in verschiedener
       Hinsicht geradezu in die Irre, was den heutigen Sprachgebrauch angeht: Saul
       erblindet tatsächlich; die Redensart jedoch wird gerade nicht auf einer

                                                                                  79