Deutsch fur Psychologen. Степанова Л.А. - 127 стр.

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und oft einzigartigen Erlebnisse spielen dabei eine wichtige Rolle. So ist denkbar, dass
diese Erinnerungen einen bevorzugten Platz in unserem autobiografischen Gedächtnis er-
halten und zu einem wesentlichen Teil unseres Selbstbildes werden.
Wer wir sind, wie wir uns und wie uns andere in der Welt wahrnehmen und bewer-
ten - das macht unsere Identität aus. Sie ist das Kernstück unserer Überzeugung, eine
einzigartige Persönlichkeit zu sein. Die Identität hat einen ausgeprägten sozialen Aspekt,
denn unsere Einzigartigkeit ist nur im Vergleich mit den Identitäten der anderen zu erfah-
ren.
Daneben besitzt unsere Identität noch eine historische Komponente, die uns meist
nicht bewusst wird. Um zu wissen, wer wir heute sind, ist es notwendig zu wissen, wer wir
gestern waren. Gedächtnisstörungen, die zu einem Verlust der persönlichen Erinnerungen
führen, führen unverweigerlich auch zu einem Verlust an Identität. Wie bedeutsam das
Wissen um unsere Vergangenheit für unsere Identität sein kann, beweisen die Anstren-
gungen von Menschen, die ihre leiblichen Eltern nicht kennen und Jahre darauf verwen-
den, etwas über ihre Herkunft -und damit über ihre Identität - zu erfahren.
Die historisch gewachsene Identität eines Menschen ist eng verknüpft mit seinem
Seibstwertgefühl. Wer bin ich, welche einzigartigen und unverwechselbaren Dinge habe
ich erlebt?
Selbstwertgefühl und Identität einer Person beeinflussen sowohl ihre aktuelle Stim-
mung als auch ihr Verhalten. Beispielsweise kann ich mich unmittelbar vor einer Prüfung
an eine bereits bestandene frühere Prüfung erinnern und so mein Gefühl für Kompetenz
erhöhen und mich in eine optimistische Stimmung versetzen. Im „Archiv" meiner Lebens-
geschichte suche ich nach Informationen, die mit meinem Selbstbild übereinstimmen. Das
persönliche Wohlbefinden hängt also von der Qualität der Erinnerung „an mich .selbst'' ab.
Umgekehrt beeinflussen die Gefühle auch den Abruf von Informationen aus dem
Gedächtnis und die Rekonstruktion von Erinnerungen. Es ist nicht nur ein Ergebnis mei-
nes Selbstbildes, ob ich mich daran erinnere, dass die letzte Prüfung insgesamt gut gelau-
fen ist, oder ob ich mich daran erinnere, dass ich „nur Glück hatte", weil die Prüferin milde
gestimmt war. Vielmehr kann uns - je nach Gemütsverfassung - ein und dieselbe Vergan-
genheitsepisode in einem unterschiedlicher Licht erscheinen.
Das Selbstbild und die Verfügbarkeit von Emotionen stehen in einem anhaltenden
Prozess wechselseitiger Beeinflussung. Die Art, wie wir erinnern und uns zugängliche In-
formationen (in Form der Erinnerungen) verarbeiten, wirkt also auf unsere aktuelle psychi-
sche Verfassung und bestimmt unsere Erwartungen an die Zukunft.