Deutsch fur Psychologen. Степанова Л.А. - 141 стр.

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Wesen und glaube nicht, wie Freud es tut, dass er primär selbstgenügsam ist und nur se-
kundär die anderen braucht, um seine triebhaften Bedürfnisse zu befriedigen. In diesem
Sinne glaube ich, dass die Individualpsychologie im Grunde Sozialpsychologie ist, oder —
um mit Sullivan zu reden — Psychologie zwischenmenschlicher Beziehung. Das Schlüs-
selproblem der Psychologie ist das Problem der besonderen Art der Bezogenheit des ein-
zelnen auf die Welt, und nicht die Befriedigung oder Frustrierung einzelner triebhafter Be-
gierden. Das Problem der Befriedigung der triebhaften Begierden des Menschen ist als
Teil des Gesamtproblems seiner Beziehung zur Welt zu verstehen, und nicht als das Prob-
lem der menschlichen Persönlichkeit. Deshalb sind meiner Meinung nach die Bedürfnisse
und Wünsche, bei denen es um die Beziehung des einzelnen zu anderen Menschen geht,
wie zum Beispiel Liebe, Hass, Zärtlichkeit und Symbiose, die fundamentalen psychologi-
schen Phänomene, während Freud in ihnen nur die sekundären Resultate aus Frustratio-
nen oder Befriedigungen triebhafter Bedürfnisse sieht. < ... >
Wenn der Mensch geboren wird - die menschliche Rasse ebenso wie der einzelne
Mensch —. muss er einen Zustand verlassen, der so sicher und begrenzt ist, wie es der
durch Instinkte bestimmte Zustand war. Er gerät in einen unbestimmten, ungewissen und
offenen Zustand. Gewissheit gibt es nur über die Vergangenheit und über die Zukunft so-
weit, als dies den Tod betrifft, der in Wirklichkeit die Rückkehr in die Vergangenheit, in den
anorganischen Zustand der Materie ist.
Das Problem der menschlichen Existenz ist demnach einzigartig in der Natur. Der
Mensch ist sozusagen aus der Natur herausgefallen und befindet sich trotzdem noch in
ihr. Er ist teils wie ein Gott, teils wie ein Tier; er ist teils unendlich, teils endlich. Die Not-
wendigkeit, immer neue Lösungen für die Widersprüche seiner Existenz zu finden, immer
höhere Formen der Einheit mit der Natur, seinen Mitmenschen und sich selbst zu finden,
ist die Quelle aller psychischen Kräfte, welche den Menschen motivieren, die Quelle aller
seiner Leidenschaften, Affekte und Ängste.
Das Tier ist zufrieden, wenn seine körperlichen Bedürfnisse -sein Hunger, sein
Durst und sein sexuelles Bedürfnis - befriedigt sind. Insofern der Mensch ebenfalls ein Tier
ist, sind bei ihm, diese Bedürfnisse ebenfalls gebieterisch und müssen befriedigt werden.
Aber insofern der Mensch ein menschliches Wesen ist, reicht die Befriedigung dieser in-
stinkthaften Bedürfnisse nicht aus, ihn glücklich zu machen. Sie reichen nicht einmal aus,
ihn gesund zu machen. Der archimedische Punkt der spezifisch menschlichen Dynamik
liegt in dieser Einzigartigkeit der menschlichen Situation. Das Verständnis der menschli-